RALF BRUECK
2023 - Christina Irrgang, Soloshow Conversion, Kunst & Denker Contemporary Ralf Brueck Conversion Kunst & Denker Contemporary 18. März bis 15. Mai 2023 Text: Christina Irrgang Etwas, das vorhanden ist, doch in einen differenzierten Sichtmoment überführt wird. Ein erfasster Augenblick, der durch die Änderung der Schärfe oder der Verschiebung der Bedeutungsebene eine Verwandlung erfährt. Herausgegriffen aus dem Ganzen: ein Fragment, das sich aufsplittert und wiederholt, auf der Netzhaut vibriert, verwischt, sich vervielfältigt und ein neues Ganzes entstehen lässt, das immateriell Phantastisches greifbar werden lässt. Die fotografischen Bilder von Ralf Brueck (geboren 1966 in Düsseldorf) verweisen auf Räume des Gesehenen, auf Orte, die der Künstler entdeckt, aufgesucht und fotografiert hat, bevor er mit ihnen in ein Spiel abstrakter Komposition und Dekonstruktion einzutauchen beginnt. Brueck überträgt dabei die Fähigkeit des menschlichen Perspektivwechsels oder der Wahrnehmung von rotierenden Zwischenbildern in die Möglichkeiten technischer Bilderzeugung, wählt Szenen des Realen aus, die er dann in seiner Arbeit am digitalen Bild zu eigenständigen Bildkörpern erhebt. Zeit, die sich durch eine langgezogene Verortung zu dehnen beginnt, oder Gebautes, das durch seinen künstlerischen Eingriff mit- und ineinander verwächst, ja, Räume, in denen sich Bauelemente nonchalant wiederholen und zu surrealen Gefügen zwischen physisch Vorhandenem und Verbildlichung werden. In seiner Ausstellung Conversion bei Kunst & Denker Contemporary bringt Ralf Brueck neuere Bilder verschiedener Werkreihen mit einer älteren Arbeit zusammen, zwischen denen sich ein nicht-zeitlicher Dialog entwickelt, der ihre künstlerische Genese, als auch die ursächliche Bedeutung von Entstehungszusammenhängen zwischen Menschen und Bildern sichtbar werden lässt. In Zeiten des bildgenerischen Wandels wird hierbei Bruecks Haltung zum Bildhaften deutlich: Denn der von ihm intendierten Bilderfahrung wohnt nicht nur die Faszination für das bloße Erfahren von Räumen inne, sondern auch das Ahnen ihrer spezifischen soziokulturellen Konnotation, die sich wie ein Fundament in seine fotografischen Bilder einschreibt. Urbane Transformation, globale Urbanisierungsprozesse, Wandel durch digitale Beschleunigung, das sind Aspekte, die seine Bilder in Motiv und Ausführung als immaterielle Texturen „bekleiden“, doch beschreiben sie als Körper immer das Spezifische, in dessen Angesicht wir tatsächlich treten könnten. Die Fotografien von Ralf Brueck lassen so auch ein hingebungsvolles Hinwenden zum Sehen und Entdecken, zum Überprüfen und Reflektieren erkennen, über das, was existiert: Der Kölner Dom, das CBS Building in New York, ein Chemiepark im Ruhrgebiet, ein Bungalow in Amerika. Dabei vergegenwärtigt Ralf Brueck, was es bedeutet, Formensprachen zu lesen, sich mit ihnen auseinander zu setzen und kulturelles Erbe im Medium der Fotografie zu kontextualisieren.
2023 - Daniel Schierke, Soloshow Umwandlung, Gallery Schierke Seinecke Ralf Brueck Umwandlung Galerie Rundgaenger by Schierke Seinecke 03. Februar bis 01. April 2023 Text: Daniel Schierke Rundgænger by Schierke Seinecke freut sich, zum ersten Mal eine fotografische Auswahl des umfassenden Œuvres von Ralf Brueck (*1966) zu präsentieren. Das Museum Ratingen hat dem Düsseldorfer Künstler kürzlich eine beeindruckende Werkschau gewidmet. Die in Frankfurt gezeigten Arbeiten entstammen der Serie "Deconstruction" und behandeln das Thema der Architektur. Innen- wie Außenansichten oft ikonischer Gebäude verwandelt Brueck durch digitale Bearbeitung zu abstrakten, teils malerisch, teils zeichnerisch anmutenden Bildern. Ausgebildet an der Kunstakademie Düsseldorf bei Bernd Becher und Meisterschüler Thomas Ruffs fügt Brueck der "Düsseldorfer Schule" mit seinem feinen Blick für Details und seinen originellen Bildideen eine bedeutende künstlerische Note hinzu. Der Titel der Ausstellung "Umwandlung" kann verschiedenartig gelesen werden: Umwelt und Gesellschaft befinden sich in einem ständigen Umwandlungsprozess. Diese Veränderungen lassen sich beispielhaft an der Architektur ablesen. Darin besteht ein zentrales Thema, das Brueck seit vielen Jahren beschäftigt. In der Architektur werden soziale, technische und ästhetische Aspekte unserer Zeit verhandelt. Die Ausstellung zeigt Orte des Wohnens, Konsumierens und Arbeitens. Damit wird ein breites Spektrum des menschlichen Alltags abgedeckt. Doch Brueck geht es nicht darum, die Gebäude in ihrer Funktion sichtbar zu machen. Sie sind eher Ausgangspunkt seiner künstlerischen Auseinandersetzung. Darüber hinaus benennt der Ausstellungstitel "Umwandlung" Ralf Bruecks virtuosen Umgang mit fotografischem Material. Die großen Werkserien seines bisherigen Schaffens seit Ende der neunziger Jahre heißen "Synthese", "Deconstruction", "Distortion" oder "Transformer". Allen Titeln ist das Thema der Bewegung eingeschrieben: Zusammenbringen, Vermengen, Auseinanderlegen, Auseinandernehmen, Verzerren, Verformen oder eben Ver- und Umwandeln. Damit sind Bruecks Anwendungsmodi digitaler Bearbeitung benannt. Wohlgemerkt ist sein Ausgangsmaterial immer zunächst vor Ort selbständig fotografiert worden. Bereits in situ kann er so die Ansicht eines Gebäudes für seine Bildideen auswählen. "American Bungalow" und "Italian Bungalow" bestehen größtenteils aus feinen, stark in die Länge gezogenen Linien, so dass ein verzerrt verschwommener Eindruck entsteht. Die Bilder wirken, als fahre man mit hoher Geschwindigkeit an den Gebäuden vorbei. Sie lassen sich kaum greifen. Bruecks Bilder verbleiben oft im Vagen und lassen dem Betrachtenden viel Raum für eigene Interpretationen. "Chain of Command" setzt sich aus Quadraten, rechteckigen Flächen und vertikalen Linien zusammen. Der Bildaufbau lehnt sich an die aus der Malerei bekannte geometrische Abstraktion an. Die frontale Perspektive des Querformats verleiht dem Bild eine besondere Tiefe. Die Lichtpunkte, die das Bild mittig durchziehen, lassen an eine unleserliche Schrift denken. Handelt es sich dabei um die im Titel benannte "Befehlskette", die zur codierten Lichterkette wird? Das Bild "Holo" zeigt einen in Schwingung geratenen Raum. Einzig ein Stück des Bodens bietet etwas Orientierung. Bei "Scope” dagegen wird die räumliche Orientierung ad absurdum geführt. Was oben und was unten ist, lässt sich schwerlich ausmachen. Genau diese Rätselhaftigkeit ruft zur ständigen Überprüfung des Gesehenen auf. Mit "Wirtschaftswunder" bilden die vier letztgenannten Arbeiten eine Gruppe von Innenansichten. Sie werden entweder von natürlichem oder künstlichem Licht erhellt. "Wirtschaftswunder" strahlt Wärme und Zuversicht aus und symbolisiert die vermeintlich unbeschwerten Jahre des deutschen Aufschwungs nach dem Krieg. Doch die das Bild durchziehenden Schatten erinnern daran, dass sie ständiger Begleiter des Lichts sind. Die drei kleinformatigen Ausstellungsbilder zeigen das Innere eines Gebäudefoyers. Zunächst scheint alles an seinem Platz zu sein. Plötzlich löst sich ein Element der Säule, Wandelemente werden zerteilt und multipliziert. Die ursprüngliche Ordnung geht verloren. Was zunächst sachlich und aufgeräumt wirkt, bekommt schlagartig etwas Unlogisches und sogar unfreiwillig Komisches.
2022 - Sabine-Maria Schmidt, Katalogtext, Ralf Brueck Werkschau english version scroll down Die DNA zum Mutieren bringen ... Fotografie und digitale Bildproduktionen im Werk von Ralf Brueck Sabine Maria Schmidt (Text zum Katalog der Ausstellung RALF BRUECK WERKSCHAU, Museum Ratingen 2022 erschienen im Wienand Verlag) Die Fotografie ist ein Medium, dem eine innovative Zukunft zugeschrieben bleibt. Dabei hat sie sich längst von ihren ursprünglichen Funktionen abgelöst, von dem, was einmal ihre Erfolgsgeschichte ausmachte: in ungewöhnlicher Schnelligkeit mit Licht und Apparatur die reale Außenwelt detailgetreu und wahrhaftig abzubilden. Vor allem nach der technischen Wende von der analogen zur digitalen Bilderstellung und Distribution haben die Antworten auf die Frage, was denn Fotografie eigentlich sei, was ihr Wesen bestimme, einen radikalen Wandel erfahren. Fotografie ist also ähnlich wie der Begriff der Videokunst ein von der technischen Definition abgelöster Terminus, der eher ein konzeptuelles bildgebendes Verfahren bezeichnet. Manche behaupten, die Geschichte der Fotografie fange erst mit dem Digitalen so richtig an. Ralf Brueck setzt sich seit vielen Jahren mit den Fallstricken und ebenso unendlich faszinierenden Gestaltungsmöglichkeiten digitaler Bildproduktion auseinander. Was real ist und was ein Fake, ist zu Beginn der Rezeption digitaler Bilder eine zentrale Frage geworden. Sportlich wurde die Aufgabe, als die technischen Möglichkeiten der Bildmanipulation so brillant wurden, dass sie kaum mehr wahrnehmbar waren. Für die künstlerische Bildproduktion ist der Ansatz, ob etwas real ist oder ein Fake, mittlerweile eher sekundär. Denn was real ist und damit wahr, ist nicht immer aussagekräftiger oder schöner. Und im Vorurteil darüber, dass das Schöne meist auch das Bessere sei, stoßen Bildmanipulationen seit jeher auf Verständnis, wenn es darum geht, eine Situation, eine Person oder eine Ansicht zu optimieren. In den Werkserien Distortion und Deconstruction arbeitet Ralf Brueck an der visuellen Auflösung und Weiterentwicklung von Innenräumen und urbanen Räumen. Dabei hat er mit der Präzision eines Chirurgen, der konstruktiven Raumkonzeption eines Architekten und den Bildideen eines Zeichners die Kunst digitaler Bildgestaltung auf die phänomenale Spitze getrieben und zugleich kommentiert. Farbelemente, die in der digitalen Textur des Bildes liegen, geben den Code einer neuen Lokalfarbe vor, die dem realen Bezug zur Gegenstandswelt nicht mehr verpflichtet ist. Pixelartige Anomalien, Datenfehler und Transformierungen, die durch Verzerrungen, technische Störungen oder Übersetzungsfehler am Computer entstehen, bieten den Ausgangspunkt für die Erfindung fantastischer und geisterhafter Bildphänomene. Man kann die Welt gänzlich neu entdecken, indem man sie aus anderer Perspektive wahrnimmt. Oder ihr auch neue Dimensionen hinzufügen, indem man sie neu erfindet. Und man kann eine Synthese aus beiden Strategien schaffen, wie Ralf Bruecks gleichnamige Werkserie vorführt. Fast jede:r hat schon einmal das eine oder andere Motiv fotografiert: seltsame Wolkenphänomene, Meereswellen, kalifornische Palmenhaine, gepflegte Sukkulentenbeete in Urlaubsressorts, Tropfsteinhöhlen, Waldwege und Baumkronen, Drachenbäume im botanischen Garten, Kirschblüten und wogende Getreidefelder. Doch was vertraut erscheint, erhält in Bruecks Aufnahmen eine alchemistische Verwandlung. Mit einem ungewöhnlichen Auge für Details und Ansichten, mit wenigen Eingriffen und einer waghalsigen Farbpalette entwickelt er ungesehene Vorstellungswelten von Landschaften im digitalen Zeitalter und verschmilzt sie mit einem breiten Repertoire tradierter Popkultur. Bereits in früheren Serien wie DAF erschloss sich Brueck eine farbige Landschaftsfotografie. Als Student der Düsseldorfer Kunstakademie unter den Professoren Bernd Becher und Thomas Ruff, dessen Meisterschüler er war, folgte Brueck zunächst den Spuren und Vorbildern der historisch aufgeladenen amerikanischen Tradition der New Color Photography. Eine popkulturelle Verankerung seines Denkens spiegelt sich hier bereits in Bildtiteln aus Musik, Film, Comic und Literatur wider. Brueck deformiert und reaktiviert Bildklischees. Noch mehr Aufmerksamkeit als die möglichen Originale erregen sorgfältig nachkolorierte, dramatisch in Blutrot getränkte Kirschblüten (Nagasaki, 2019). Wie sähe eine Grotte aus, die in „Living Coral“ getaucht wäre, den Pantone-Ton, der 2019 zu einer der Modefarben des Jahres gekürt wurde (Ok Coral, 2019). Oder doch lieber süßes Rosé, das wie Zuckerwatte oder Pulverschnee das Bild in einen kariösen Augenschmaus verwandelt. Wenn mit Fantastilliarden von Neuaufnahmen Datenunternehmen und Algorithmen an die Stelle von Postkarte, Bildkalender oder Wandtapete treten, muss man vielleicht zu anderen poetischen Praktiken finden. (Nicht ganz so) banale Fotografien von Bäumen, Palmen, Gräsern und Landschaftsausschnitten werden durch farbliche Veränderungen derart „ausgereizt“, dass auch jegliche Materialität in Verwandlung gerät. Dieses führt Brueck derart selbstverständlich vor, dass die Farbveränderungen in einigen Bildern zunächst kaum wahrgenommen werden. Jeder kennt die durch Lightshows in Farben getränkten Grotten und Tropfsteinhöhlen oder die mit Infrarot aufgenommenen militärisch observierten Geländeabschnitte. Natur ist toll. Doch lässt sie sich als kultivierte Landschaft offensichtlich deutlich toppen. Gehörte früher die Landschaftsfotografie zu den entbehrungsreichen Pionierleistungen (man denke etwa an die frühen Expeditionen von Fotopionieren wie Francis Frith, den Brüdern Bisson, Alexander Gardner und John Thomson, um nur wenige zu nennen), so reicht heute ein Mobiltelefon, um hochwertige Landschaftsaufnahmen zu generieren. So ist auch das Material für die Videofilme von Ralf Brueck zum Teil in 4K mit einem iPhone oder einer Drohnenkamera entstanden (und wurde später dann am Rechner mit Final Cut bearbeitet). Bruecks Annäherung an das Motiv der Landschaft und der Natur ist dabei von schier kreativer Lust an der freien Gestaltung genährt. „In der neuen Serie Synthese interessiert es mich, das Natürliche durch das Künstliche zu entfremden. Dabei ließ ich mich von der Natur inspirieren, in der Entstehungsprozesse per se freier und unkontrollierter wirken. Diese in der Natur zu beobachtende wachsende und wuchernde Losgelöstheit konnte ich für mich nutzen, um freier zu arbeiten“, kommentierte er in einem Gespräch mit der Autorin. In der Aufnahme Dark (2018) wird der Tag am Rechner zur Nacht gewandelt. „Falsches Licht“ und „falsche Farben“ bringen Stämme, Äste, Zweige und Blätter zum Tanzen. Bei Belleza Peligrosa (2018) wirkt das Blattwerk so perfekt choreografiert, als hätte es der Schöpfer des Bildes selbst vorab arrangiert. Landschaften wie Delta Quadrant (2019) oder Excalbia (2019) erinnern durch den Einsatz grellfarbiger Filter an Science-Fiction-Szenerien fremder Planeten. Doch kann man glauben, was hier zusammengewachsen und verschmolzen ist und sich zu einer Synthese zusammengefunden hat? Ist derartige Schönheit zugleich nicht gefährlich? Eine große Gefahr besteht auf jeden Fall darin, in das Kitschige abzurutschen, eine grassierende Kinderkrankheit vieler Fotograf:innen und digitaler Bildproduzent:innen. Brueck selbst nennt seine eigenen Bildaneignungsstrategien Eingriffe in die digitale Bild-DNA. Er provoziert massive, bisweilen „gewalthafte“ Distorsionen, die die Bildelemente zur Mutation bringen, farbliche und formale Harmonie zerstören. Es sei eine innere Ablehnung gegenüber dem „schönen Bild“, die ihn zu der Distortion-Serie geleitet habe. Dabei ist Brueck nicht nur durch und durch professioneller Fotograf, sondern auch durch und durch Ästhet, der sich am „Zugrunderichten des fotografischen Bildes“ (im Sinne seiner Schönheit) eher konzeptuell und letztlich vergeblich abarbeitet. Denn Bruecks Dekonstruktionen basieren auf sorgfältig vorbereiteten, durchkomponierten analogen und digitalen Aufnahmen, die gescannt und mit jeweils verschiedenen Bildbearbeitungsprogrammen und vorab konzipierten Arbeitsschritten aufbereitet werden. Er verzichtet auf spontane Gesten, found footage oder Fotomontage, konzentriert sich auf je eine Aufnahme und schafft wie ein Landschaftsmaler im Atelier, der zunächst Pleinair-Skizzen gefertigt hat, höchst präzise durchwirkte ästhetische Kompositionen. Man wird von diesen Bildern gefangen genommen. Damit wechselt Brueck, der mit der Serie Timecapsules mit Aufnahmen von Kircheninnenräumen einen spezifischen thematischen Claim innerhalb der Becher-Schule abstecken konnte, sich in der Serie DAF mit der amerikanischen Farbfotografie und Street Photography auseinandersetzte, erneut das Lager. Die Frage, welche Instrumentarien zur Verfügung stehen, um das von technischen Parametern bestimmte fotografische Bild künstlerisch erweitern zu können, ist so alt wie die Fotografie selbst, nicht aber die immer neuen Lösungen hierzu. Interessanterweise sind es meist primär (herausragende) Fotograf:innen selbst, die in Auseinandersetzung mit den digitalen Möglichkeiten der Bildgestaltung und dem Phänomen einer allgegenwärtigen Massenfotografie die substanziell technische Natur der Fotografie und die ihr damit seit den Anfängen zugesprochene inhärente ursprüngliche Kunstlosigkeit wieder hervorkehren. Das erscheint insofern paradox, als der so lange abgesprochene Status der „Fotografie als Kunst“ aktuell nicht mehr infrage steht. Im Gegenteil: Fast jedes fotografische Bild, das heute geschossen wird, hat theoretisch in Zukunft das Zeug dazu, einmal als künstlerisches Zeugnis betrachtet zu werden. Und zwar wenn es – wie Siegfried Kracauer beschrieb – die Zeit nicht mehr als vergangene Zeit dokumentiert, sondern die Tatsache ihrer Vergangenheit. Wichtig ist dabei zudem, dass sich die Aktualität einer Botschaft nicht mehr aufdrängt, sondern das Bild seine ursprünglichen Bezüge verliert und sich stärker als zuvor einer formalen und ästhetischen Betrachtung anbietet. Wenn Fotografie auch heute per se als kunstvolles Dokument bezeichnet werden kann, was bedeutet das für einen gegenwärtigen künstlerischen Anspruch in ihrer Domäne? Brueck sucht die Antwort nicht nur in der fotografischen Aufnahme selbst, sondern in der Weiterführung derselben nach der Aufnahme. Er schafft sich dafür ein konzeptuelles Regelwerk, das die Grenzen der vorgesehenen Programme (der Kamera und der Bildbearbeitungssoftware) nicht nur auslotet, sondern auch gegeneinander aus- spielt. Vor diesem Hintergrund ist interessant, dass der Fotograf für die Serie Distortion vor allem Maler:innen und Zeichner:innen als Inspirationsquellen nennt, und man könnte in oberflächlicher Betrachtung die Technik der „Verzerrung“ als Bruecks Stilmittel bezeichnen, etwa in Tradition zu den Piktorialist:innen, die durch manuelle Eingriffe, künstliche Unschärfe, den Einsatz von Edeldruckverfahren und Kolorierungen malerische Erscheinungsweisen ihrer Fotografien anstrebten. Brueck begnügt sich nicht mit den von den Apparaten aufgefangenen Informationen (über die Welt), sondern möchte diese verändern. Doch ist es nicht allein der mimetisch-malerische Gestus, der die Fotografien aus ihrer dokumentarischen Gegenwart löst, es sind ebenso die ihnen inhärenten verschiedenen fixierten Zeitstrukturen. Bereits mit der Serie Timecapsules schuf Brueck keine nüchtern-sachliche Architekturfotografie, sondern zeigte Bilder, die mit ihrem spezifischen Blick für Details, Einrichtungsgegenstände, Wandstrukturierungen, Kontraste von modernen und historischen Formen, liturgischen und praktischen Requisiten immer auch symbolisch aufgeladene Situationen, Leerräume, die Absenz des Menschen thematisierten. In dieser Serie gelang ihm der Aufbau einer Grammatik des Dekors als ausdrucksvolles Zeitbild, das auch unsere religiöse und spirituelle Verfasstheit hinterfragt. Zwei Zeitregime fließen hier ineinander: der fotografisch fixierte Augenblick von Orten, die zukunftslos wirken, und der retrospektive Blick auf die Orte, die als Zeugnisse heraus- ragender Architektur zu Denkmälern werden. Viele der Fotografien von Brueck basieren auf sehr langen Belichtungen, die an die menschenleere Stille der frühen Daguerreotypien erinnern könnten. Zugleich sehen die mit Licht durchfluteten, detailreichen Innenräume schöner aus als in der Realität. Doch bedeutet die gezielte Inszenierung der Details keine Preisgabe des Dokumentarischen und Faktischen, sondern eher die Lust am visuell Gestalterischen (wie die von Architekt:innen oder Innendesigner:innen) im Sinne einer ästhetischen Hommage. Direkte Manipulation findet sich erst in der Serie der Transformer. In diesen seit 2004 entstandenen Arbeiten retuschiert Brueck die aufgenommenen Situationen, deren Strukturen und Details er bisweilen so plausibel weiterführt, dass sie kaum von der realen Situation unterscheidbar scheinen. In Distortion und ebenso Synthese nutzt Brueck nun die Möglichkeiten digitaler Bildgestaltung weitaus freier und erinnert zugleich an die zahlreichen Errungenschaften, Fehlerquellen und Phänomene in der Geschichte der Fotografie, darunter Reminiszenzen an die Geister- oder Ufofotografie, kinematografische Tricks und viele mehr. Er verleiht seinen Bildern „Zauber und Magie“, an die natürlich niemand mehr glaubt, erinnert damit aber auch an fotohistorische Begriffe, die sich ursprünglich auf das physikalische Phänomen der Bildfixierung (William Henry Fox Talbot: Fotografie = Kunst, einen Schatten zu fixieren) bezogen, der eine Intervention von Künstler:innenhand abgesprochen wurde. Das Flüchtige und Vergängliche der Lichterscheinungen, die hier zugleich aber auch Imaginationen sind, wird nun bei Brueck explizit als Resultat eines planmäßigen und zielgerichteten Tuns des oder der Fotografierenden ins Bild gerückt und der Zeitlichkeit enthoben. Kunstwerke sind dazu bestimmt, nicht bloß erblickt, sondern auch betrachtet zu werden, und zwar gerne lange und wiederholt. Sie enthalten zwei bereits von Gotthold Ephraim Lessing beschriebene Regime der Zeit: die eingefrorene Zeit des Bildes und die kontinuierliche Zeit der Betrachter:innen. Die Augenblicklichkeit des Dargestellten und die Dauer seiner Betrachtung sind Themen Ralf Bruecks. Denn während in der Kunst – so noch immer die ungebrochene Utopie – singuläre Bilder der Vereinzelung, Konzentration und Verdichtung geschaffen werden wollen, die wirken sollen, hat sich in der heutigen digitalen Bildkultur zunehmend eine Distribution und Rezeption durchgesetzt, die Bilder durch die unendliche Wiederholung von Bildklischees förmlich verschwinden lassen. Konzentration zu schaffen, das zeigt sich auch in Bruecks Videoarbeiten, die hier erstmals umfassender dokumentiert sind. Einer der frühen Filme, Deconstruction Coney Island (2015), entstand in New York und besteht aus einer verlangsamten Kamerafahrt in Seitenansicht aus der New Yorker D-Linie. Brueck spiegelt das Bild auf einer verschobenen Mittelachse. In den Aufnahmen erscheinen die menschenlosen Szenerien wie eingefroren. Die Welt verwandelt sich in ein riesiges futuristisch anmutendes und zugleich verlassenes Raumschiff. Die gedehnte Tonspur unterstützt diesen Eindruck. Zwei Jahre später datiert Chaining (2017). Schauplatz ist ein europäischer Wald, der sich in merkwürdige Buchstabenkonstellationen zu verwandeln scheint. Auch hier wirkt das Szenario wie ein psychologischer Rorschachtest, die Perspektive kybernetisch. Zwar kann der angewandte illusionistische Trick der Bildkonstruktion schnell durchschaut werden, die faktische Bildinformation ist allerdings nur schwer zu entschlüsseln. Unser Gehirn kennt solche Landschaften nicht. Alle Kurzfilme zehren von einer äußersten Langsamkeit. Die gedehnten Bilder in Plastic dancing in the ocean (2018) zerfließen kaum, so zäh ist die Zeitlupe. Es lassen sich fast natürlich auftretende Metamorphosen eines Abfallstücks in etwas Fleischlich-Ozeanisch-Organisches beobachten. In anderen Bildern setzt Brueck auf unser Wissen um die unendliche Wandlungsfähigkeit der Natur und ihrer Phänomene, der Wellen und des Wassers, der Lichter und Bewegungsschatten. Wir haben zudem in den letzten Jahren im Kontext des Klimawandels unkontrollierbare Naturereignisse kennengelernt, die in unseren Regionen eher unüblich waren. Was spricht also gegen die Kollisionen verschiedenster Bewegungsrichtungen, von unten und oben, rechts und links oder von vorwärts und rückwärts? Tatsächlich bietet Brueck in Slocean (2022) faszinierende Phänomene an, die wir als erfahrene Meeresbeobachter:innen zu kennen scheinen, die uns bei näherer Betrachtung aber dann doch eher ein schaurig-schönes Fürchten lehren. Eine Welt ist uns schon lange nicht mehr genug. Und ihre Schönheit reicht den Menschen auch nicht aus, um sie als liebenswert zu erhalten und zu schützen. Immer wieder tauchen in den Arbeiten der Synthese-Serie von Brueck die vier Elemente als Leitmotive auf: Feuer, Wasser, Erde, Luft. Futuristische Anklänge wechseln mit nostalgischen Beobachtungen von Vergangenem. Streng analytische Perspektiven wie in der sehr frühen Serie Heimatbrücken wechseln mit wie seherisch wirkenden Fantastereien in Fotografien wie Cluster (2021) oder Wave (2021). Am Ende steht eine satte grüne Hügellandschaft aus Drohnenperspektive, über der wolkenartige Gischten sprühen. Der jüngste Film Slocean ist auch eine Feedbackschleife zu den ganz frühen fotografischen Landschaftsbildern von Gustave Le Gray (1820–1884), der die unter- schiedlichen Belichtungszeiten von Himmel und Erde in seinen frühen Seelandschaften mit dem Trick gekonnter Druckmontagen überwinden konnte. Massentechnisch produzierte Bilder werden geteilt und kopiert und trotz immer größerer Datenkapazitäten als riesige Bildvolumen immer fluider. Der Zustand des fotografischen Bildes ist flüchtig geworden. Die Fotografie gilt zunehmend als ein Kommunikationsmittel zwischen Menschen (und mittlerweile auch zwischen Maschinen), die eher visuelle Notizen denn Bilder tauschen. Das geteilte Bild von der Welt entsteht dabei kaum mehr durch eigene Anschauung, sondern durch das Medium. Wie genau das Bild zustande kommt und was darauf letztlich zu sehen ist, wird dabei immer unschärfer und uninteressanter. Bruecks Werke bleiben diesbezüglich resistent; der digitale Raum ist nicht größer als der reale, zu dem nun einmal auch der imaginative gehört. Brueck macht sich selbst ein Bild von der Welt, die er zeigt, und ein Bild über den technischen Tatbestand des Digitalen, den er nutzt. Vor allem ist es der Glaube an die Existenz der Fotografie als oft großformatiges und materiell verdichtetes „Wandbild“, die eine ästhetische Erfahrung erlaubt und eine innovative Zukunft im Umgang mit dem fotografischen Bild garantieren kann. Making DNA Mutate... Photography and Digital Image Production in the Work of Ralf Brueck Sabine Maria Schmidt (Text for catalog RALF BRUECK WERKSCHAU, Wienand Publisher 2022) Photography is a medium with an innovative future that still lies ahead. It has long since become untethered from its original functions, which were once responsible for its success: the ability to depict the world around us truthfully and in detail with unusual speed, using light and equipment. Particularly after the technical shift from analog to digital image creation and distribution, answers to the question of what photography actually is – what its essence is comprised of – have changed radically. Like video art, photography has become detached from technical definitions and instead denotes a more conceptual process of image creation. Some claim that the history of photography may have only truly begun with the start of the digital era. Ralf Brueck has occupied himself with the pitfalls and equally fascinating, infinite design possibilities of digital image production for many years. The question of what is real and what is fake has been central to the way images are received since the beginnings of digital image production. The task of distinguishing between the two became more challenging as the technical possibilities of image manipulation developed, becoming so brilliant as to be barely perceptible. For artistic image production, the basic question of whether something is real or fake has now become a secondary concern. Because what is real, and therefore true, is not always more expressive or more beautiful. And given the tendency to view that which is beautiful as being better, manipulated images have always been met with understanding when it comes to optimizing a situation, a person, or a view. In the series Distortion (since 2011) and Deconstruction (since 2014), Ralf Brueck works towards the visual dissolution and further development of interiors and urban spaces. In these works, he has pushed the art of digital image composition to a phenomenal peak, with the precision of a surgeon, the spatial construction of an architect, and the pictorial ideas of a draftsman, while making his own views clear. Color elements integrated within the digital texture of the image provide the code for a new local color that is no longer constrained by the real reference point in the physical world. Pixel-like anomalies, data errors, and transformations caused by distortions, technical malfunctions, or translation errors on the computer provide the starting point for the creation of fantastical and ghostly pictorial phenomena. You can discover the world anew simply by observing it from a different perspective. Or even add new dimensions by reinventing it. It is also possible to create a synthesis of these two strategies, as Ralf Brueck's series of the same name demonstrates. Nearly everyone has photographed one subject or another: strange cloud phenomena, ocean waves, Californian palm groves, manicured succulent beds at resorts, stalactite caves, forest trails and treetops, dragon trees in botanical gardens, cherry blossoms, and waving fields of grain. But what seems familiar at first glance undergoes an alchemical transformation in Brueck’s photographs. With an unusual eye for detail and perspective, he develops unseen imaginary worlds of landscapes in the digital age, fusing them with a broad repertoire of pop culture references that have been passed down, employing selective interventions and a daring color palette. Brueck also tapped into colorful landscape photography in earlier series such as DAF. As a student at the Düsseldorf Art Academy under Professors Bernd Becher and Thomas Ruff, who took Brueck on as a master student, Brueck initially followed the example and in the footsteps of the historically-charged American tradition of New Color Photography. The embeddedness of his thinking in pop culture is reflected in image titles derived from music, film, comics, and literature even at this early point in his career. Brueck distorts and reactivates image clichés. Carefully-recolored cherry blossoms, dramatically drenched in blood red (Nagasaki, 2019), are even more attention-grabbing than the original subject. What would a grotto look like if it were dipped in ‘Living Coral,’ the Pantone shade that was named one of the trendiest fashion colors of the year in 2019 (Ok Coral, 2019)? Or perhaps a sweet rosé would be better, like cotton candy or powdered snow, which transforms the image into a cavity-inducing feast for the eyes. When zillions of new images from data companies and algorithms take the place of postcards, picture calendars, or wallpaper, it may be necessary to resort to other poetic techniques. (Not particularly) banal photographs of trees, palms, grasses, and details of landscapes are ‘maxed out’ by color modifications to such an extent that their very materiality is transformed. Brueck’s execution is so natural that the color changes in some pictures are hardly noticeable at first. Everyone is familiar with grottoes and stalactite caves drenched in color by lightshows, or images of terrain under military observation by infra-red cameras. Nature is great. But clearly it can be outdone by a cultivated image of a landscape. Though landscape photography was once one of the most strenuous pioneering activities (think of the early expeditions of photographic pioneers such as Francis Frith, the Bisson brothers, Alexander Gardner, and John Thomson, to name only a few), today all you need in order to generate high-quality landscape images is a cell phone. The footage for Ralf Brueck's video films was also partly shot in 4K using an iPhone or a drone camera (and was later edited using Final Cut on the computer). Brueck's rapprochement with landscape and nature as a subject is nurtured by his sheer creative delight in free design. “In the new series Synthesis, I am interested in alienating the natural through the artificial. In doing so, I was inspired by nature, in which the processes of creation seem freer and less controlled. Using this growing and spreading detachment that can be observed in nature, I was able to work more freely myself,” he commented in a conversation with the author. In the image Dark (2018), the day is transformed into night by computer. ‘False light’ and ‘false colors’ make trunks, branches, twigs, and leaves dance. In Belleza Peligrosa (2018), the foliage appears so perfectly choreographed, as if the creator of the image had arranged it himself in advance. Through the use of garishly-colored filters, landscapes such as Delta Quadrant (2019) or Excalbia (2019) are reminiscent of science fiction scenes of alien planets. But can that which has merged and grown together here, that which has been combined to form a synthesis, be believed? Is such beauty not also dangerous? One way or another, there is great danger of slipping into kitsch – a rampant childhood disease afflicting many photographers and producers of digital images. Brueck himself describes his image appropriation strategies as interventions in the DNA of the digital image. He introduces massive, sometimes “violent” distortions that cause the elements of the picture to mutate, destroying tonal and formal harmony. It was his inner rejection of the “beautiful picture” that led to the Distortion series. But Brueck is not only a professional photographer through and through – he is also an aesthete through and through, and works conceptually towards the “loss of the photographic image” (in the sense of its beauty), ultimately in vain. Because Brueck's deconstructions are based upon painstakingly-prepared, meticulously-composed analog and digital photographs, each of which is scanned and processed in pre-planned stages using different image processing programs. He avoids spontaneous gestures, found footage, or montages, concentrating on one image at a time and creating precise, interwoven aesthetic compositions, like a landscape painter working in his studio from sketches made en plein air. The images are captivating. Brueck, who staked a specific thematic claim within the Becher school with images of church interiors in his series Timecapsules, and who engaged with American Color Photography and street photography in the DAF series, hereby changes camps once more. The question of which instruments may be employed to artistically augment the photographic image, which is determined by technical parameters, is as old as photography itself, but the new range of solutions is not. Interestingly, it is primarily (outstanding) photographers themselves who, confronted with the possibilities of digital image composition and the phenomenon of ubiquitous mass photography, reemphasize the substantially technical nature of photography and the inherent lack of artistry that has been attributed to it from the beginning. This seems paradoxical given that the status of ‘photography as art,’ which was so long denied, is now no longer questioned. On the contrary: almost every photographic image that is taken today theoretically has what it takes to be considered an artistic statement in the future. That is, if – as outlined by Siegfried Kracauer – it no longer documents time as a point in the past, but rather the fact of its being past. It is also important that the timeliness of a message no longer intrudes: rather, the image loses its original references, thereby facilitating a greater degree of formal and aesthetic consideration than it once did. If even today photography can be labelled as skillful documentation, what implications does this have for its contemporary claim to artistic achievement in its own right? Brueck seeks the answer not only in the photograph itself, but in the alteration of the photograph after it has been taken. To this end, he creates a set of conceptual rules for himself that not only explores the limits of the programs he uses (the digital camera and image processing software), but also pits them against each other. In this context, it is interesting that the photographer cites painters and draftsmen as the primary sources of inspiration for his Distortion series, and the technique of ‘distortion’ could be superficially described as Brueck's stylistic device, perhaps in the tradition of the pictorialists, who strove to achieve painterly effects in their photographs through manual interventions, artful blurring, the use of traditional printing techniques, and colorization. Brueck is not content with the information (about the world) captured by the camera – he wants to alter it. But it is not just the mimetic-painterly gesture that removes the photographs from their documentary present; it is also the various fixed time structures that are inherent to them. Even in his early series Timecapsules, Brueck did not create austere, objective architectural photography, but displayed images that – with their specific attention to detail, furnishings, wall textures, the contrast of modern and historical forms, liturgical and functional props – also addressed symbolically-charged situations, empty spaces, and the absence of human subjects. In this series he succeeded in developing a visual vocabulary that created an expressive portrait of an era while also questioning the state of our religious and spiritual beliefs. Here, two conceptions of time flow into one another: the photographically-fixed moment in places that seem to have no future, and the retrospective view of places that have become monuments – testaments to outstanding architecture. Many of Brueck's photographs are created using very long exposures that recall the deserted stillness of early daguerreotypes. The detailed interiors, flooded with light, appear more beautiful than they do in reality. And yet the deliberate staging of the details does not involve surrendering the documentary and the factual, but rather shows a desire for visual creativity (such as that of architects or interior designers) in the sense of an aesthetic homage. Direct manipulation is used only in the Transformer series. In these works, created starting in 2004, Brueck retouches the compositions he has photographed, altering the structures and details so plausibly that they hardly seem distinguishable from the actual subject. In Distortion ad in Synthesis, Brueck makes far freer use of the possibilities offered by digital image composition while recalling the many achievements, causes of errors, and phenomena in the history of photography, including recollections of ghost or UFO photography, cinematographic tricks, and much more. He lends his pictures ‘magic and enchantment’, which, of course, no one believes in anymore, but in so doing he also references historical photographic terms that originally referred to the physical phenomenon of fixing images (William Henry Fox Talbot: photography = the art of fixing a shadow), with which the hand of an artist could not interfere. Brueck explicitly places an emphasis on the fleeting and ephemeral nature of the lighting conditions – which are also figments of our imagination – which result from planned and purposeful acts carried out by the photographer, and are absolved of their temporality. Works of art are intended not merely to be seen in passing, but to be looked at – with pleasure, repeatedly, over a long period. They contain two temporal states that have already been described by Gotthold Ephraim Lessing: the frozen time of the image and the continuous time of the viewer. Ralf Brueck takes the instantaneousness of that which is depicted and the duration of its contemplation as themes in his work. While singular images of isolation, concentration, and condensation are created and intended to have an impact within the still-unfractured utopia of art, a culture of distribution and reception has come to prevail in today's digital world, with the endless repetition of clichéd images literally causing pictures to disappear. Creating concentration is a central aim of Brueck's video works, which have been more comprehensively documented for the first time in this exhibition. One of the early films, Deconstruction Coney Island (2015), was made in New York and consists of a slow-motion tracking side view taken from New York's D Line train. Brueck mirrors the image on a shifted central axis. In the film, the deserted scenery looks as though it is frozen. The world transforms into a huge, futuristic-looking but abandoned spaceship. The dragged-out soundtrack enhances this impression. Chaining (2017) dates from two years later. The setting is a European forest that appears to transform into strange constellations of letters. Here, too, the scenario feels like a psychological Rorschach test – the perspective is cybernetic. Although the viewer quickly sees through the illusionistic trick of image construction that has been employed, the factual information within the image is difficult to decipher. Our brains don’t recognize landscapes like this. All of his short films draw upon extreme slowness. The slow motion of Plastic dancing in the ocean (2018) is so marked that the images barely dissolve. The metamorphosis of a piece of trash into something fleshy-oceanic-organic seems to occur almost naturally. In other images, Brueck relies on our knowledge of the infinite mutability of nature and its phenomena, of waves and water, of the light and shadow of movement. In recent years, due to climate change, we have become familiar with uncontrollable natural events that were once considered unusual in our part of the world. So what can be said against collisions coming from all directions, from below and above, right and left, or forward and backward? In Slocean (2022), Brueck offers up fascinating phenomena, which are as familiar to us as if we were experienced observers of the sea, but which, upon closer inspection, instruct us in a rather eerie, beautiful fear. One world is not nearly enough for us. And its beauty is not enough to inspire humans to love, preserve, and protect it. Over and over again, the four elements serve as leitmotifs in Brueck's Synthesis series: fire, water, earth, air. Futuristic echoes alternate with nostalgic observations of the past. Strictly analytical perspectives, as seen in the very early series Heimatbrücken (Homeland Bridges), alternate with what appear to be seer-like fantasies in photographs such as Cluster (2021) or Wave (2021). The result is a lush green hilly landscape from a drone’s perspective, with cloud-like spray above. The latest film, Slocean, is a feedback loop leading to the very early photographic landscape images of Gustave Le Gray (1820-1884), who in his early seascapes overcame the challenge of different exposure times for sky and earth using skillful print montages. Mass-produced photos are shared and copied and, despite ever-growing data capacity, they become even more fluid as part of the constant flood of images. The photographic image has become ephemeral. Photography is increasingly viewed as a means of communication between people (and also machines) who exchange visual notes rather than pictures. The shared image of the world is no longer created by the viewer's own perceptions, but through the medium of photography. How exactly the image comes to be and what can ultimately be seen in it has become increasingly fuzzy and uninteresting. In this respect, Brueck's works remain resistant; the digital space is no greater than the real one, which includes the imaginative space as well. Brueck creates an image of the world he is capturing, and an image that reveals the technical aspects of the digital means he employs. Above all, it is the belief in the existence of photography as an often large-scale and concentrated ‘mural’ that sets the stage for an aesthetic experience and guarantees an innovative future engaging with the photographic image.
2021 - Ann-Katrin Guentzel, Soloshow Disappear, Kunst & Denker Contemporary english version scroll down Ralf Brueck, Disappear, Ausstellungstext für Kunst & Denker, Februar 2021 von Ann-Katrin Günzel Der Düsseldorfer Künstler Ralf Brueck zeigt bei Kunst & Denker Contemporary vom 20.2. – 18.4. 2021 mit der Ausstellung „Disappear“ beeindruckende Naturschauspiele – gewaltig in die Tiefe stürzende, von dichter Gischt vernebelte Wassermassen der Niagara Fälle, ein dickes Knäuel zusammengeballter Wolkenmassen, die sich wie ein Feuerball am Himmel erheben; die mächtige Brandung des Atlantiks oder bizarre Formationen einer Tropfsteinhöhle. Es ist die Natur in ihren elementaren, beständig vorhandenen Formen von Wasser, Feuer, Luft und Stein, gleichzeitig aber sind es mehr oder weniger flüchtige Formen und Formationen, die zum Teil nur im Moment der Fotografie vorhanden sind und sich außerhalb dessen ständig verändern oder gar verschwinden und demnach heute so wie wir sie hier vor uns sehen gar nicht mehr existieren. Dennoch stellt Brueck das flüchtige Bildmotiv in einer wie modelliert wirkenden Monumentalität dar, so als ob er sichtbar machen wolle, dass das Verschwinden als natürlicher Prozess dazugehört und als solcher von Dauer ist. Er erschafft Ewigkeiten im Chaos der ständigen Veränderungen, gerade weil er zeigt, dass es die Bildmotive nur für diesen einen Moment gegeben hat. Wenn überhaupt. Ralf Brueck hat an der Kunstakademie Düsseldorf zunächst in der Klasse von Bernd Becher und anschließend als Meisterschüler von Thomas Ruff (2000-2002) Fotografie studiert. Nach einigen Reisen u.a. quer durch die USA hat er seine Erfahrungen mit der Düsseldorfer Fotoschule um die amerikanische „New Color Photography“ erweitert, Farbe als künstlerisches Mittel eingesetzt und die Bilder digital (mit Photoshop) bearbeitet. Farbe und Verfremdung werden damit zu einem Werkzeug, das der Künstler anwendet, um die Realität nicht abzubilden, sondern ihr eine eigene Prägung zu verleihen. Anstelle eines Pinsels benutzt er Pixel, zieht in die Länge, verzerrt und färbt die Bildergebnisse nach Belieben. So prägt er sie nach und mit seinem Blick. Brueck konzentriert sich dabei auf die Elementarkräfte der Natur, auf Phänomene und Erscheinungen, die wir kennen, die aber in dieser Intensität nicht gerade unseren Alltag bestimmen, sondern zu denen wir zum Teil sogar extra anreisen, um uns von ihrer Schönheit überwältigen zu lassen. Dicht zusammengeballte Kumuluswolken (Cluster, 2021) kennen wir vielleicht noch am ehesten – wenn auch nicht unbedingt in dieser Form – aber das lila schillernde, fast außerirdische Gestein der Tropfsteinhöhle (Liquid Cave, 2021) oder ihre wie ein zuckriges Marshmallow geformten Stalaktiten (Candy Cave, 2021), die sturmgepeitschte, aus der umgedrehten Surferperspektive wahrgenommene Atlantikwelle, die als Naturgewalt heranrollt (Wave 2021) oder die schier undurchdringliche Gischt der Niagara Fälle (Niagara Falls, 2016) sehen wir nur selten. Brueck nimmt diese Motive auf, fügt ihrer momentbezogenen Dramatik aber durch Farb- und Formveränderungen eine exotische Verfremdung hinzu. Die Reise zu diesen Orten erfolgt ins Innere der Bilder. Brueck lässt die von ihm aufgesuchten Orte ungenannt, sie stehen exemplarisch für Landschaftsphänomene, die einen elementaren Eindruck wiedergeben sowie einen emotionalen Zugang und Assoziationen mit anderen Dingen und Phänomenen erlauben. Die Bildtitel beziehen sich zumeist auf die Struktur der Motive, Cluster oder Candy Cave bauschen sich geballt, weich und formbar, liquide ist die fließende Struktur der Tropfsteinhöhle. Das Bild der Natur, das Brueck uns hier präsentiert geht damit über das Gezeigte hinaus. Durch ihre Umwandlung ins Bild wurde Natur immer schon als etwas Ästhetisches verstanden und im ästhetischen Blick künstlerisch verwandelt. Das kann durch digitale Verformung und Färbung gesteigert werden, oder schon durch Veränderung der Größenverhältnisse geschehen, wenn z.B. die unendliche Weite einer amerikanischen Landschaft im Bild ganz klein wird, damit man sie überhaupt überblicken kann (Vermillion, 2021). Ebenso wie die Malerei ein vermitteltes Bild darstellt, ist auch die Fotografie ein künstliches, ein bereits mit Erfahrung, Wünschen und Sehnsüchten, mit Ängsten und Katastrophen aufgeladenes Bild. Und so wird die Öffnung der Tropfsteinhöhle einerseits kathedralhaft ins Architektonische erweitert, zugleich aber zur süßen Verlockung, das Wolkenknäuel steigt wahrhaft überirdisch und bedrohlich in einen strahlenden Barockhimmel auf, und die Welle kippt sprichwörtlich mitreißend in der Gewalt der Brandung, die uns so fasziniert, gerade weil die Wassermassen sich ständig neu formieren, unbestimmt sind und unbestimmbar bleiben. Es ist keine katastrophische, sondern eine erhabene Dramatik der Vergänglichkeit, aber auch der Anwesenheit von natürlicher Schönheit und ästhetischer Wahrnehmung, die wir hier sehen. Blicken wir auf die rot glühende Vulkanlandschaft so sehen wir die feuerspeiende Naturgewalt assoziativ in ihrer Abwesenheit und erkennen die Macht der Natur, die bei aller Veränderung, die nicht nur im natürlichen Wandel, den Gezeiten und Zyklen automatisch passiert, sondern auch derzeit in der Zerstörung und der Ausbeutung der Menschen eine brisante und negative Dimension erfährt und die dennoch immer auch ohne den Menschen weiterexistieren wird, denn sie ist Natur, veränderbar, aber in immer neuer Form auch ewig. Ralf Brueck, Disappear, exhibition text for Kunst & Denker, February 2021 By Ann-Katrin Günzel At Kunst & Denker Contemporary from Feb. 20 - Apr. 18, 2021, Düsseldorf artist Ralf Brueck will show impressive natural spectacles in the exhibition "Disappear" - water masses of Niagara Falls plummeting mightily into the depths, fogged by dense spray; a thick ball of clustered cloud masses rising like a fireball in the sky; the mighty surf of the Atlantic Ocean or bizarre formations of a stalactite cave. It is nature in its elementary, constantly existing forms of water, fire, air and stone, but at the same time they are more or less ephemeral forms and formations, some of which are only present at the moment of photography and outside of which are constantly changing or even disappearing and therefore no longer exist today as we see them here before us. Nevertheless, Brueck depicts the fleeting image motif in a monumentality that seems modeled, as if he wanted to make visible that disappearance is part of the natural process and as such is permanent. He creates eternities in the chaos of constant changes, precisely because he shows that the image motifs only existed for this one moment. If at all. Ralf Brueck studied photography at the Düsseldorf Art Academy, first in the class of Bernd Becher and then as a master student of Thomas Ruff (2000-2002). After several journeys, including across the USA, he expanded his experience with the Düsseldorf photography school to include American "New Color Photography", using color as an artistic medium and editing the images digitally (with Photoshop). Color and alienation thus become a tool that the artist uses not to depict reality, but to give it its own imprint. Instead of a brush, he uses pixels, draws in length, distorts and colors the image results at will. In this way, he imprints them with his gaze. Brueck concentrates on the elemental forces of nature, on phenomena and appearances that we are familiar with, but which do not exactly determine our everyday life in this intensity, but to which we sometimes even travel especially to be overwhelmed by their beauty. Densely clustered cumulus clouds (Cluster, 2021) are perhaps the ones we are most familiar with - though not necessarily in this form - but the purple iridescent, almost alien rock of the stalactite cave (Liquid Cave, 2021) or its stalactites shaped like a sugary marshmallow (Candy Cave, 2021), the storm-lashed Atlantic wave perceived from an upside-down surfer's perspective, rolling in as a force of nature (Wave 2021), or the sheer impenetrable spray of Niagara Falls (Niagara Falls, 2016), we rarely see. Brueck takes these motifs, but adds an exotic alienation to their momentary drama through changes in color and form. The journey to these places takes place inside the paintings. Brueck leaves the places he visits unnamed; they stand exemplarily for landscape phenomena that reflect an elementary impression as well as allow emotional access and associations with other things and phenomena. The titles of the paintings mostly refer to the structure of the motifs, Cluster or Candy Cave bulge clenched, soft and malleable, liquid is the flowing structure of the dripstone cave. The image of nature that Brueck presents to us here thus goes beyond what is shown. Through its transformation into an image, nature has always been understood as something aesthetic and artistically transformed in the aesthetic gaze. This can be enhanced by digital deformation and coloring, or can already happen by changing the proportions, for example, when the infinite expanse of an American landscape becomes quite small in the picture so that it can be surveyed at all (Vermillion, 2021). Just as painting represents a mediated image, photography is also an artificial one, an image already charged with experience, wishes and desires, with fears and catastrophes.
2019 - Sabine-Maria Schmidt, Soloshow Synthese, Kunst & Denker Contemporary, Catalogue english version scroll down RALF BRUECK. SYNTHESE von Sabine Maria Schmidt (Kunstwissenschaftlerin, Kuratorin) Katalogtext zur Werkreihe SYNTHESE Virtuos und erfindungsreich rückt der Düsseldorfer Künstler Ralf Brueck in seiner jüngsten Werkserie „Synthese“ Ansichten von Kulturlandschaften ins Bild, die auf die irritierende Erhabenheit visueller Künstlichkeit und Wandlungsfähigkeit setzen. Fast jeder hat schon einmal das ein oder andere Motiv fotografiert: kalifornische Palmenhaine, gepflegte Sukkulentenbeete in Urlaubsressorts, Tropfstein-Höhlen, Waldwege und Baumkronen, Drachenbäume im botanischen Garten, Kirschblüten und wogende Getreidefelder. Doch was vertraut erscheint, erhält in Bruecks Aufnahmen eine alchemistische Verwandlung. Mit einem ungewöhnlichen Auge für Details und Ansichten, mit wenigen Eingriffen und einer waghalsigen Farbpalette entwickelt Brueck ungesehene Vorstellungswelten von Landschaften im digitalen Zeitalter und verschmilzt sie mit einem breiten Repertoire tradierter Pop Kultur. Noch mehr Aufmerksamkeit als die Originale erregen sorgfältig nachkolorierte, dramatisch in blutrot getränkte Kirschblüten (Nagasaki). Wie sähe eine Grotte aus, die in „Living Coral“ getaucht wäre, dem Pantone-Ton, der 2019 zu einer der Modefarben des Jahres gekürt wurde (OK Coral). Oder doch lieber süßes Rosé, das wie Zuckerwatte oder Pulverschnee das Bild in einen kariösen Augenschmaus verwandelt. Wenn mit Fantastilliarden von Neuaufnahmen Datenunternehmen und Algorithmen an die Stelle von Postkarte, Bildkalender oder Wandtapete treten, muss man vielleicht zu anderen poetischen Praktiken finden. Bereits in früheren Serien wie „DAF“ widmete sich Brueck der farbigen Landschaftsfotografie. Als Student der Düsseldorfer Kunstakademie unter den Professoren Bernd Becher und Thomas Ruff, dessen Meisterschüler er war, folgte er zunächst den Spuren und Vorbildern der historisch aufgeladenen, amerikanischen Tradition der New Color Photography. Eine popkulturelle Verankerung seines Denkens spiegelt sich hier bereits in Bildtiteln aus Musik, Film, Comic und Literatur wieder. In den früheren Werkserien „Distortion“ und „Dekonstruktion“ arbeitete Ralf Brueck an der visuellen Auflösung und Weiterentwicklung von Innenräumen und urbanen Räumen. Mit der Präzision eines Chirurgen, der konstruktiven Phantasie eines Architekten, und den Bildideen eines Zeichners, griff er dabei in die digitale DNA des Bildes ein. Pixelartige Anomalien, Datenfehler und Transformierungen, die durch Verzerrungen, Stauchungen, technische Störungen oder Übersetzungsfehler am Computer entstanden, bildeten den Ausgangspunkt für die Erfindung phantastischer und geisterhafter Bildphänomene. Ralf Brueck: „Durch die Auseinandersetzung mit Architektur und urbanen Landschaften in meinen Serien „Distortion“ und „Dekonstruktion“ (2009 - 2017) entstand ein Prozess sich wieder mehr mit der Natur zu beschäftigen, die nicht so geordnet und starr wie Architektur ist. Dabei ließ ich mich von der Botanik und der Geologie inspirieren, in der Entstehungsprozesse unkontrollierter sind. In der neuen Serie „Synthese“ interessierte es mich aber auch das Natürliche durch das Künstliche zu entfremden.“ Seine erneute Annäherung an das Genre der Landschaft ist nun stärker von einer Lust an einer konzeptuell freieren Gestaltung genährt. Farbfilter oder Farbelemente, die in der digitalen Textur des Bildes liegen, geben dabei den Code vor; die dem realen Bezug zur Gegenstandswelt nicht mehr verpflichtet sind. „Falsches Licht“ und „falsche Farben“ bringen Farne und Gräser zum Tanzen. Bei „Rousseau“ und „Farn Fatal“ wirkt das Blattwerk so perfekt choreographiert, als hätte es ein Schöpfer vor der Aufnahme des Bildes wie ein Studiosetting arrangiert. Ansicht, Nahsicht, Durchsicht: überhaupt wechselt der Fotograf beständig die Rollen und Perspektiven, tritt mal als dokumentierender Beobachter zurück oder schlägt sich wie aus Kleintierperspektive ins Gebüsch. Landschaften wie „Delta Quadrant“ oder „Excalbia“ erscheinen durch den Einsatz grellfarbiger Filter wie Science- Fiction Szenerien fremder Planeten. „Elba“ erinnert an mit Infrarotlicht aufgenommene militärisch observierte Wald- und Geländeabschnitte. Mit grellfarbenen Textmarkern überzeichnet, wirbt ein schattiger Palmenhain um höchste Aufmerksamkeit. In Arbeiten wie „Soylent Green“ und „Blockade“ verhindert eine designte Barrikaden-Architektur eine unkontrollierte Ausbreitung des Pflanzenwerks. Erst beim zweiten Blick fragt man sich, was sie eigentlich bedeuten könnte, diese Architektur. Wer kennt sie nicht, die mit Lightshows in grelle Farbe getränkten Grotten und Tropfsteinhöhlen? In „Delicious“ scheinen die Stalaktiten Farbe wie Softeis auszuscheiden. Wo endet Idylle? Wo beginnt das Paranormale? In einer anderen Gruppe von Arbeiten wie „Rousseau“und „Schlafender Löwe im Gras“ wird der Tag am Rechner zur Nacht gewandelt. Nachts sind bekanntlich alle Katzen grau und die Phantasie gebiert neue Ungeheuer. Kann man glauben, was in „Dark“ zusammenzuwachsen scheint? Ist im Bild etwas verborgen, das man übersehen hat? „Ink“ und „Atomic Eve“ sind Bilder voller kompositorischer Schönheit und Faszination. „Ink“ inspiriert von japanischer Tuschezeichnung; „Atomic Eve“ von surrealistischer Malerei. In Kombination mit dem Titel entstehen Verweise und Assoziationsketten („Atomic Eve“: Comicfigur, Eva, Paradiesgarten, Bikini, Bikini Atoll, Atombombe, Trumps Aufkündigung der Atom-Abrüstung, etc.), die letztlich wieder in die Realität zurückführen. Zugleich schaffen die Titel zum Bild einen selbstironischen Humor, weg von den strukturellen Krisendiagnosen der Tagesmedien. Man kann die Welt gänzlich neu entdecken, in dem man sie aus anderer Perspektive betrachtet. Man kann der Welt gänzlich neue Dimensionen hinzufügen, indem man sie neu erfindet. Ralf Brueck ist ein Künstler, der Fotografie als konzeptuell wichtigstes Medium gestalterischer Bildproduktion versteht. Mit seinen farbintensiven, freien und emotionalen Aufladungen von Landschaft geht es weniger um Fake- Fotografie oder digitale Manipulation, denn um eine Freiheit des künstlerischen Bildes, wie sie einst die Expressionisten propagierten und in der bei Bedarf die Sonne auch „grün“ fotografiert werden kann. RALF BRUECK. SYNTHESIS by Sabine Maria Schmidt (art historian, curator) catalogue text, Ralf Brueck, Synthese 2019 The Düsseldorf artist Ralf Brueck's most recent series of works, "Synthese" (Synthesis), is a virtuoso and imaginative work that presents views of cultural landscapes based on the irritating sublimity of visual artificiality and mutability. Almost everyone has photographed one or the other motif: Californian palm groves, cultivated succulent beds in holiday resorts, stalactite caves, forest paths and treetops, dragon trees in the botanical garden, cherry blossoms and undulating grain fields. But what seems familiar receives an alchemical transformation in Brueck's photographs. With an unusual eye for details and views, with few interventions and a daring palette of colors, Brueck develops unseen imaginary worlds of landscapes in the digital age and merges them with a broad repertoire of traditional pop culture. Even more attention than the originals is attracted by carefully re-colored cherry blossoms dramatically soaked in blood red (Nagasaki, 2019). What would a grotto look like that would be immersed in "Living Coral", the Pantone tonal color that was chosen as one of the fashion colors of the year in 2019 (OK Coral, 2018). Or rather a sweet rosé that, like cotton candy or powder snow, transforms the picture into a carious feast for the eyes. When data companies and algorithms take the place of postcards, picture calendars or wallpaper with gazillion of new photographs, one may have to find other poetic practices. Already in earlier series like "DAF" Brueck devoted himself to color landscape photography. As a student at the Düsseldorf Art Academy, he followed his professors Bernd Becher and Thomas Ruff, whose master student he was, first of all in the footsteps and models of the historically charged American tradition of New Color Photography. A pop-cultural anchoring of his thinking is already reflected here in picture titles from music, film, comics and literature. In the series "Distortion" and "Deconstruction" Ralf Brueck worked on the visual dissolution and further development of interiors and urban spaces. With the precision of a surgeon, the constructive imagination of an architect, and the image ideas of a draughtsman, he intervened in the digital DNA of the image. Pixel-like anomalies, data errors and transformations caused by distortions, compressions, technical faults or translation errors on the computer formed the starting point for the invention of fantastic and ghostly pictorial phenomena. "Through the exploration of the construction of architecture and urban landscapes in my series "Distortion" and "Deconstruction" (2009-2017), a process suddenly arose to deal again with nature, which is rather chaotic and not as orderly and rigid as architecture. I was inspired by botany and geology, in which the processes of development are more free and uncontrolled. I could use this detachment for myself to work more freely. But in the new series "Synthesis" I was also interested in alienating the natural through the artificial. " he commented. His renewed approach to the genre of landscape is now more strongly nourished by a desire for a conceptually freer design. Color filters or color elements that lie in the digital texture of the image provide the code; they are no longer committed to the real relation to the world of objects. "False light" and "false colors" make ferns and grasses dance. In "Rousseau" and "Farn Fatal", the foliage seems so perfectly choreographed as if it had been arranged like a studio setting by a creator before the picture was taken. View, close-up view, transparency: in general, the photographer constantly changes roles and perspectives, sometimes withdraws as a documenting observer, or hits the bushes as if from a small animal perspective. Landscapes like "Delta Quadrant" or "Excalbia" (2019) appear through the use of brightly colored filters like science fiction sceneries of foreign planets. "Elba" (2018) is reminiscent of sections of forest and terrain under military observation recorded with infrared light. Overdrawn with brightly colored highlighters, a shady palm grove attracts the highest attention. In works such as "Soylent Green" (2019) and "Blockade" (2019), a designed barricade architecture prevents an uncontrolled spread of the plant work. Only at second glance does one wonder what it could actually mean, this architecture. Who doesn't know them, the grottos and stalactite caves soaked with lightshows in bright colours? In "Delicious" (2019), the stalactites seem to excrete color like soft ice cream. Where does idyll end? Where does the paranormal begin? In another group of works such as "Rousseau" (2019) and "Sleeping Lion in the Grass" (2019), the day on the computer is transformed into night. At night all cats are grey and the imagination gives birth to new monsters. Can you believe what seems to grow together in "Dark" (2018)? Is there anything hidden in the picture that has been overlooked? "Ink" (2019) and "Atomic Eve" (2019) are pictures full of compositional beauty and fascination. "Ink" inspired by Japanese ink drawing; "Atomic Eve" by surrealist painting. In combination with the title, references and chains of associations ("Atomic Eve": comic figure, Eva, Garden of Paradise, Bikini, Bikini Atoll, atomic bomb, Trump's denunciation of nuclear disarmament, etc.) are created, which ultimately lead back to reality. At the same time, the titles to the picture create a self-ironic humor, away from the structural crisis diagnoses of the daily media. You can completely rediscover the world by looking at it from a different perspective. You can add entirely new dimensions to the world by reinventing it. Ralf Brueck is an artist who understands photography as the conceptually most important medium of creative image production. With its color-intensive, free and emotional charges of landscape, it is less about fake photography or digital manipulation than about a freedom of the artistic image as once propagated by the Expressionists and in which the sun can also be photographed "green" if necessary.
2017 - Hendrik Bohle, Jan Dimog, Thelink, Interview Hendrik Bohl und Jan Dimog, thelink, Interview (unten Auszug aus dem Interview) hier Link zum Interview im Netz: https://thelink.berlin/2017/11/fotograf-ralf-brueck-architektur-fotografie-duesseldorf-bernd-und-hilla-becher-thomas-ruff-timecapsule-deconstruction/ » ... eine radikale künstlerische Haltung ist wichtiger, als sich nur an einem einzigen Thema abzuarbeiten.« Architektur, Räume und Bauwerke spielen in den Arbeiten von Ralf Brueck eine wichtige Rolle. Sei es in Form von Bilderserien zu Kirchen der Nachkriegsmoderne oder als Basis für Grenzerfahrungen zwischen Experiment, Fotografie und Baukunst. Über Verfremdungen, Lebensthemen und warum er den Rhein und das Ausbildungszentrum der Astronauten mag. 1. Bitte beschreiben Sie die Philosophie und Methodik Ihrer Arbeit. Wie hat Sie das Studium bei Bernd und Hilla Becher sowie Thomas Ruff geprägt? In Gesprächen mit Bernd Becher erwähnte er immer, wie wichtig es für mich sei, sich ein Lebensthema zu suchen, das durch intensive Auseinandersetzung und Analyse untersucht wird. Als er sah, dass meine Arbeiten sich fast ausschließlich mit der Konstruktion und Architektur von Bauwerken beschäftigte, meinte er, dass dies wohl mein zentrales Thema sei, mit dem ich mich weiter auseinander setzen sollte. Als die Becherklasse ohne Professor war, wechselte ich zu dem gerade an die Akademie gekommenen Professor Thomas Ruff und fand es einfach spannend zu jemand zu gehen, der vielleicht mit völlig neuen Ideen aufwartete. Im Gegenzug tat er das auch, denn er vermittelte mir, das eine radikale künstlerische Haltung wichtiger ist als sich nur an einem einzigen Thema abzuarbeiten. Ich glaube, dass mich beides prägte. Es hat Spuren hinterlassen. Aber wenn ich resümiere, wo ich am Anfang war und womit ich mich heute in meiner Arbeit auseinandersetze würde ich sagen, dass es ein Prozess war, der aus meiner Persönlichkeit heraus entstand und ich eher nach radikalen Ansätzen suchte. 2. "Timecapsule" ist eine Ihrer ersten Arbeiten. Die Serie behandelt protestantische und katholische Kirchenräume, die von 1920 bis 1990 in Deutschland errichtet wurden. Was hat Sie an dem Thema interessiert? Moderne Kirchen der Nachkriegszeit mit ihren teilweise sehr abstrakten Innenräumen haben mich fasziniert. Ich wollte mehr über diese Bauwerke herausfinden indem ich ihre Innenräume fotografisch analysierte. Auf den Namen „Timecapsules“ kam ich, weil die Kirchen oft nur zu den Andachten öffnen und in der Zeit dazwischen ungenutzt bleiben. Jedoch insbesondere, da der Innenraum in dem Zustand konserviert wurde, den er bei Fertigstellung hatte. Denn die Architektur der 1950er- und 1960er-Jahre war stilistisch sehr prägend für die Kirchen. Moderne Kirchen konservieren deswegen meist exakt den Stil, der zum Zeitpunkt des Baus vorherrschte, denn prinzipiell werden Kirchen nicht dauernd den stilistischen Zeitwenden angepasst. 3. Grundsätzlich scheinen Architektur und Raum eine wichtige Rolle in Ihren Arbeiten zu spielen: wie kam es dazu und was bedeutet das für Ihre Kunst? Das ist richtig. Linien, Strukturen, Proportionen, die Auseinandersetzung mit Konstruiertem, ob Raum oder urbanes Terrain interessieren mich einfach. Aber auch dort einzugreifen, Konstruiertes aufzulösen, zu verändern oder zu dokumentieren. 4. Bitte beschreiben Sie Konzept, Herangehensweise und Umsetzung Ihrer Serie "Dekonstruktion" Die Serie heißt Dekonstruktion. Was aber erst mal nur der Titel für die Serie ist. Darin geht es in erster Linie um die Auseinandersetzung mit der Konstruktion von Gebäuden, Innenräumen oder urbanen Situationen. Ich arbeite mich da an dem Thema auf verschiedene Weise ab, indem ich Teile des Fotos so stark verändere dass sie mit der ursprünglichen Konstruktion nichts mehr zu tun haben, oder aber ich verändere nur durch die Perspektive und den Anschnitt das Bild so, dass es nur noch rein Subjektiv so wahrgenommen werden kann wie ich es will. Ich demontiere, dekonstruiere das Foto so, dass das was dann daraus entsteht, ein Bild ist und keine Fotografie mehr, also etwas Neues. Es ist meist ein langwieriger Prozess des Eingriffs, den ich mit verschiedenen Bildbearbeitungsprogrammen vornehme. Es handelt sich dabei aber nicht um Filter oder Effekte die konfektioniert sind, sondern um selbst programmierte Arbeitsschritte, die also bewusst geplant sind und nicht auf Zufällen basieren. 5. Wo ist Ihr Lieblingsort in Ihrer Heimat und außerhalb? Warum? Ich bin in Düsseldorf geboren, habe hier an der Kunstakademie studiert und trotzdem ich auch viel im Ausland gelebt habe, z. B. ein Jahr in Italien in der Zeit meines Stipendiums der Villa Romana, lebe ich gerne in meiner Heimatstadt. Ich mag den Rhein! Das K21, für mich das schönste Museum mit den interessantesten Exponaten in der Stadt und meine Lieblingsbar, das Sir Walter, wo einige meiner großformatigten Arbeiten fest installiert sind und viel Platz eingeräumt wird. Es treibt mich ansonsten immer wieder für längere Zeit ins Ausland, um bestimmte Orte aufzusuchen, die ich fotografieren will. Wie z.B. letztes Jahr Kanada und die Niagara Falls, das Jahr davor New York um die UNO zu fotografieren. Aber auch in Deutschland finden sich besondere Orte wie z.B. das ESA Astronauten Ausbildungszentrum in Köln, in dem ich für die Serie "Dekonstruktion" die Originalnachbildung des Columbia Modell der ISS fotografiert habe, an der die Astronauten trainieren.
2016 - Ralph Goertz, Buchpublikation: Ralf Brueck, Deconstruction, Distortion.... english version scroll down Ralph Goertz (Kurator, Autor der Buchpublikation „Ralf Brueck, Deconstruction, Distortion, DAF, Timecapsules“, erschienen im WIENAND Verlag 2016) schreibt über die Serie DAF DAF – Deutsch Amerikanische Freundschaft Die Fotografien von Ralf Brueck begegneten mir zum ersten Mal, als ich mich mit der »New Color Photography« und deren wichtigsten Vertretern Stephen Shore und Joel Meyerowitz für zwei Filmprojekte auseinandersetzte. In großen Lettern konnte ich »DAF – Deutsch Amerikanische Freundschaft« auf dem Foto eines typisch amerikanischen Highways lesen, in dessen Mitte ein Billboard zu sehen war, das sich seiner eigentlichen Aufgabe – überdimensional und mit bunten Abbildungen auf ein Produkt oder einen Film hinzuweisen – entzog. Ralf Brueck hatte noch den Hinweis »Subject of the series is the merge of the Düsseldorf School of Photography with the American New Color Photography movement« hinzugefügt und sich dadurch als ein Künstler verortet, der sich der Verschmelzung von zwei der signifikantesten Kunstbewegungen der zeitgenössischen Fotografie in Amerika und Deutschland der letzten 60 Jahre angenommen hat. Die unter dem Namen »Düsseldorfer Fotoschule« bekannt gewordenen Künstler entsprangen allesamt der 1976 von Bernd Becher an der Düsseldorfer Kunstakademie gegründeten Fotoklasse. Als ihre wichtigsten Vertreter gelten heute Andreas Gursky, Thomas Ruff, Thomas Struth, Candida Höfer und Axel Hütte, die gemeinsam in den 1970er-Jahren bei Bernd Becher mit dem Medium Fotografie vertraut gemacht wurden – anfangs noch ohne das Bewusstsein, sich der künstlerischen Fotografie zugehörig zu fühlen oder gar Kunst mit dem Medium der Fotografie herstellen zu wollen. Candida Höfer beispielsweise wechselte aus der Filmklasse zu Bernd Becher. Auch Ralf Brueck studierte ab 1995 an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Bernd Becher und gehörte somit zu seinen letzten Studenten. Im Jahr 2000 wechselte Brueck in die Klasse von Thomas Ruff, dessen Meisterschüler er wurde. Die erste Generation der Düsseldorfer Fotoschule einte, dass sie nur geringe Kenntnis von der amerikanischen New Color Photography hatten, da Ende der 1970er-Jahre nur wenige Publikationen zum Thema den Weg in den deutschen Buchhandel gefunden hatten, sodass ihre künstlerische Auseinandersetzung mit Fotografie stark durch ihren Lehrer Bernd Becher geprägt war und sich eher an der dokumentarisch-topografischen Fotografie orientierte. Als Ralf Brueck die Bühne der künstlerischen Fotografie Mitte der 1990er-Jahre betrat, hatte sich dieses Medium bereits als Kunstform emanzipiert, und die einstigen Becher-Schüler der ersten Generation waren selbst zu Superstars der Szene geworden. Amerikanische Fotografen wie William Eggleston, Joel Meyerowitz und Stephen Shore waren Anfang der 1960er-Jahre die Pioniere der Farbfotografie. Zu jener Zeit war einerseits die Fotografie als Kunstform noch nicht etabliert, und andererseits galt der Einsatz von Farbe in der Fotografie als unkünstlerisch und eher der kommerziellen Werbung zugehörig. Die Kunstfotografie, sofern man sie in den 1960er-Jahren als solche betiteln konnte, verwendete ausschließlich Schwarz-Weiß. Und obwohl das Museum of Modern Art in New York schon früh Fotografie sammelte und John Szarkowski, der dort tätige legendäre Kurator für Fotografie, bereits Ende der 1960er-Jahre Einzelausstellungen mit jungen Fotografen realisierte, präsentierte auch er zu Beginn nur Schwarz-Weiß-Arbeiten. So kam es, dass beispielsweise der junge amerikanische Fotograf Joel Meyerowitz 1968 nicht mit seinen Farbfotografien, sondern mit seiner in Europa entstandenen und in Schwarz-Weiß fotografierten Serie From a Moving Car ausgestellt wurde, obwohl er bereits seit 1962 vor allem in Farbe fotografierte. Erst 1976 zeigte das MoMA erstmals Farbfotos des Amerikaners William Eggleston. Der wohl größte Durchbruch in der Farbfotografie wurde 1976 erreicht, als Fotografen wie Stephen Shore und Joel Meyerowitz anfingen, mit der Plattenkamera und in Farbe zu fotografieren und somit einen künstlerisch wie technisch weiterführenden Blick auf die Welt warfen. Aus der eher intuitiven, flüchtigen Kleinbildfotografie der frühen 1960er Jahre entstand eine neue Form der Fotografie, die nun formal wie künstlerisch lückenlos zur Schwarz-Weiß-Fotografie eines Timothy H. O’Sullivan oder Walker Evans aufschloss. Erstmals war es den Farbfotografen erlaubt, sich mit der 8×10” - oder 4×5” - Plattenkamera der Realität neu zu nähern und durch längere Belichtungszeiten Einsicht in die zeitliche Dimension zu nehmen. Als Ralf Brueck 2006 seine erste Reise an die Westküste Amerikas antrat, sah er sich mit der Ikonografie seiner großen amerikanischen Vorbilder der New Color Photography konfrontiert, der er sein durch die Lehren von Bernd Becher und Thomas Ruff geprägtes Bildverständnis entgegensetzen wollte. Seine Faszination gründete auch in seinem Verständnis von den Vereinigten Staaten als Land der künstlerischen Grenzenlosigkeit und Freiheit. Als wichtigste Impulse erschienen ihm, neben dem Interesse an der New Color Photography, die Freiheit in der Wiedergabe von Farbe und die fotografische Präzision. »Ich habe sehr stark wahrgenommen, dass mein Blick unterschiedlich zu den Blicken meiner anfänglichen Vorbilder ist. Es war ein bewusster Prozess, meine Bilder anders zu machen. Das Ikonenhafte aus den 1970er Jahren wirkt immer noch nach. Ich wollte in Amerika fotografieren, aber ich wollte nicht so fotografieren, wie die Amerikaner fotografieren, sondern eine Verbindung zwischen der Düsseldorfer Fotoschule und der amerikanischen Fotografie schaffen.« Schon 1978 reiste der damalige Becher-Schüler Thomas Struth nach Amerika, um dort seinen Blick, seine Fremdheit der Sicht auf eine amerikanische Wirklichkeit in New York zu überprüfen, indem er ihr mit dokumentarischer Schwarz-Weiß- Fotografie begegnete. Auch Joachim Brohm, der seit 1978 in Farbe fotografierte, reiste 1983/84 anlässlich eines einjährigen Stipendiums an der Ohio State University in die USA, um seinem »Bedürfnis nach Auseinandersetzung« mit der amerikanischen Gesellschaft, die sich durch Individualismus und Nonkonformität auszeichnet, nachzukommen. In seiner ersten Serie, Timecapsules, die ab 1994 entstand, wendete sich Ralf Brueck dem sakralen Innenraum als Sujet zu. Seine subjektive Auseinandersetzung mit dem Raum und seine prozesshafte Vorgehensweise in der Auswahl des Ausschnitts, der sich streng und formal präsentiert, verorteten ihn früh als Bildübersetzer mit präzisem fotografischem Auge. Die so erlangte fotografische Reife und das durch Bernd Becher und Thomas Ruff geprägte Verständnis der Befragung des Bildes durch das Medium der Fotografie finden in seiner Serie DAF – Deutsch Amerikanische Freundschaft zu einer eigenständigen Symbiose. Am auffälligsten scheint die Abwendung vom Innenraum hin zum urbanen Außenraum. Bruecks Aufnahmen umfassen Straßenszenen, Landschaften und Bildausschnitte der amerikanischen und deutschen Außenräume, denen er sich mit dem Mittel des Dokumentarischen und einer statischen Fachkamera näherte. Allerdings erlaubte sich Brueck auch die Integration weniger auf seinen Reisen nach Italien und Finnland entstandener Aufnahmen. In seiner amerikanischen Arbeit P2 von 2007 durchtrennt ein Sendemast im Goldenen Schnitt die Landschaft, durch die sich kontrapunktisch in der Diagonalen eine schmale Landstraße zieht. In der Farbigkeit auf das Grün der Rasenfläche und das Blau des Himmels reduziert, wirkt die Aufnahme wie eine Bildmontage aus einer naturalistischen Landschaft und dem Mast als Stellvertreter einer fortschrittlichen, technisierten Welt. Neben der Präsenz dieser beiden bildimmanenten Bestandteile ist die Aufnahme durch das Fehlen eines wesentlichen Motivs bestimmt: Gerade durch die Abwesenheit des Menschen kommt diesem eine besondere Bedeutung zu. Auch in Sign 4 von 2009 verweist die leere Fläche eines Billboards auf die Existenz des Menschen, der in seiner Absenz umso gegenwärtiger ist. Eine Neuerung in Bruecks Arbeit bildet die partielle Anwesenheit von Indizien für die technischen Errungenschaften des Menschen wie in der Aufnahme Zabriskie von 2006, in der er das Dach einer Tankstelle von links in das Bild hereinragen und wie einen Hinweispfeil auf den im Hintergrund stehenden Lastwagen zeigen lässt. Diese perspektivisch angeordneten, nicht näher zu bestimmenden Bildelemente lassen den wahren Raum nur erahnen und verweigern sich teilweise der seit der Renaissance angewandten Zentralperspektive. Durch das Aufbrechen der nachvollziehbaren Proportionalitäten rückt Ralf Brueck diese Aufnahme näher an die Konzeptfotografie heran. Schon die Barockmaler wie Francisco de Zurbarán verwendeten solche visuellen Konzepte, die auf der Täuschung des menschlichen Auges basieren. Auch bei Twolaneblacktop von 2007 versperrt Ralf Brueck dem Betrachter den ungehinderten Zugang zum Bild durch das quer stehende Gebäudeskelett, das sich von rechts bis weit über die Bildmitte hineinschiebt. Das im Hintergrund abgestellte, leicht verdeckte Auto konkretisiert die Abwesenheit des Menschen und fungiert als weiteres bildimmanentes Element zur Steigerung einer subjektiven Präsenz. In seinen amerikanischen Aufnahmen wie Monument von 2006 und vor allem Wait von 2009 vereinen sich die Insignien der Abwesenheit des Menschen – etwa die verlassene Haltestelle – mit dem Element der Farbgestaltung, die über das Farbschema der New Color Photography hinausgeht. Das zarte, fast unwirklich scheinende Sonnenlicht in Wait entfaltet seine auratische Wirkung nicht direkt, sondern nur, indem es den Himmel jenseits des kleinen Hügels erhellt und in seinem Zwielicht jeden Schatten vernichtet. Darin eingebettet sind die harten und grafisch präsenten Konturen der Haltestelle, die gleichsam in einen Dialog mit der Laterne tritt, die ihrerseits mit ihrem abwesenden Lichtkegel auf den Platz deutet, an dem der zu erwartende Bus dereinst halten wird. Interessanterweise ordnen sich die im Hintergrund stehenden Strommasten durch ihre perspektivische Rücknahme den zentralen Motiven und Elementen unter. Neben Bruecks ab 2006 in Amerika entstandenen Aufnahmen bilden jene aus Deutschland, Italien und Finnland den Gegenpol zur New Color Photography und geben sich eindeutig als Stellvertreter einer durch die Düsseldorfer Fotoschule geprägten Auffassung von Fotografie zu erkennen. Diese Aufnahmen, die zwischen 1996 und 1999 entstanden, zeigen als Ausschnitt einen Teil der Architektur eines Gebäudes und lösen diesen aus seiner urbanen Umgebung heraus. Beim Duisburger Wedaustadion (1999) fokussiert Brueck auf die formale Vielfalt und Strenge der Seitenverkleidung eines Tribünenteils und differenziert sachlich die verschiedenen Geometrien der monochromen Farbflächen vom Blau des Himmels über das Weiß der Stufenelemente und das Rot des Geländers bis hin zum Blaugrün der Betonträger. In perfekter Harmonie entsteht durch die bewusste Wahl des Bildausschnitts nicht die Dokumentation eines Gebäudeteils, sondern vollzieht sich die Sichtbarwerdung eines subjektiven künstlerischen Ansatzes, der sich in der Direktheit des fotografischen Blicks manifestiert. Ralf Brueck gelingt in seiner Serie DAF – Deutsch Amerikanische Freundschaft die Schaffung einer eigenen fotografischen Realität, die authentisch wirkt, weil sie sich streng an die dokumentarischen Prinzipien der Fotografie hält und der Tradition eines Eugène Atget, August Sander oder Walker Evans folgt. Was jedoch in Abgrenzung zu der rein dokumentarischen Fotografie geschieht, ist die Visualisierung einer Haltung dem Motiv gegenüber, das sich aus der vermeintlichen Realität speist. »Man setzt ein Medium zwischen das eigene Ich und dem, was man als Künstler repräsentiert – als theoretische Bildaneignungsstrategie.« Ralf Brueck umgeht optische Hindernisse, um der Wirklichkeit ein interessanteres Bild zu entreißen, und schafft durch seine Motivwahl und den Einsatz von Licht und Farbe die Symbiose aus New Color Photography und Düsseldorfer Fotoschule – vielleicht auch aus deutschem Punk und amerikanischem Folk. Ralph Goertz (curator, author of the book publication "Ralf Brueck, Deconstruction, Distortion, DAF, Timecapsules", published by WIENAND Verlag 2016) writes about the series DAF DAF – Deutsch Amerikanische Freundschaft I first encountered the photographs by Ralf Brueck when, for two film projects, I began looking into ‘New Color Photography’ and its most important protagonists Stephen Shore and Joel Meyerowitz. In one photograph of a typical American highway – in the middle of the composition is a billboard that eludes its actual task of referring to a product or a film on an enormous scale and with colourful pictures – I could read the words ‘DAF – Deutsche Amerikanische Freundschaft’ in large letters. Ralf Brueck had added the note: ‘Subject of the Series is the Merge of the Düsseldorf School of Photography with the American New Color Photography Movement’. In doing so, he positioned himself as an artist who strove to take on the amalgamation of two of the most significant artistic movements in the field of contemporary photography in America and Germany during the last sixty years. The artists who became known as the ‘Düsseldorf School of Photography’ all emerged from the photography class that Bernd Becher founded at the Academy of Art in Düsseldorf in 1976. Among the most important protagonists of the group are Andreas Gursky, Thomas Ruff, Thomas Struth, Candida Höfer, and Axel Hütte, who became acquainted with the medium of photography under Bernd Becher in the 1970s – initially without being aware that they were working in the field of ‘artis- tic photography’ or intending to produce art with the medium of photography. Candida Höfer, for example, transferred to Bernd Becher’s class from the film class. Beginning in 1995, Ralf Brueck also studied at the Academy of Art in Düsseldorf under Bernd Becher and is thus one of his last students. In 2000, Brueck transferred to the class of Thomas Ruff, receiving the title of Master Student two years later. The members of the first generation of the Düsseldorf School of Photography are united by the fact that they had little knowledge of the New Color Photography movement in America, since, in the late 1970s, very few publications on this subject found their way into German bookstores. Their artistic engagement with photography was thus strongly influenced by their professor Bernd Becher, whose teachings were based on a more or less documentary, topographical approach to the medium. When Ralf Brueck entered the stage of artistic photography in the mid 1990s, this medium had already emancipated itself as a legitimate art form, and the former Becher students of the first generation had themselves become superstars within the art scene. In the early 1960s, American photographers such as William Eggleston, Joel Meyerowitz, and Stephen Shore were among the pioneers of colour photography. At the time photography had not yet become established as an art form, and the use of colour in photography was considered inartistic and seen as belonging more to commercial advertising. Art photography, inasmuch as this could even be called such in the 1960s, was exclusively black-and-white. Although the Museum of Modern Art in New York had already begun collecting photography early on and John Szarkowski, the museum’s legendary Curator of Photography, had already organised solo exhibitions with young photographers in the late 1960s, he too initially presented only black-and-white pho- tographs. And so it happened, for example, that in 1968 the young American photographer Joel Meyerowitz was not repre- sented with his colour photographs, but rather with his series From a Moving Car, which was created in Europe and shot in black-and-white, although he had already been photographing primarily in colour since 1962. It was not until 1976 that the Museum of Modern Art exhibited colour photos for the first time, with the works of the American photographer William Eggleston. What is probably the most important breakthrough in colour photography was achieved in 1976, when photographers such as Stephen Shore and Joel Meyerowitz began to shoot colour photographs with a plate camera and thus cast both an artistically and technologically more far-reaching eye on the world. Out of the more intuitive, fleeting, small-format photography of the early 1960s there developed a new form of photography, which now caught up with the black-and-white photography of artists such as Timothy H. O’Sullivan and Walker Evans – both formally and artistically. For the first time, with the ‘8 × 10’ or ‘4 × 5’ plate camera, colour photographers were now able to approach reality anew and, with the help of longer exposure times, gain insight into the temporal dimension. When Ralf Brueck set out on his first journey to the West Coast of America in 2006, he found himself confronted with the iconography of his great American role models from the New Color Photography movement, which he strove to juxtapose with his own understanding of the medium, which, in turn, was highly influenced by the teachings of Bernd Becher and Thomas Ruff. His fascination also stemmed from his understanding of the Unit- ed States as a country of artistic freedom and boundlessness. In addition to his interest in New Color Photography, he found the most important stimuli in photographic precision and the freedom of rendering images in colour. ‘I was strongly aware of the fact that my view differed from the views of my initial role models. Making my pictures different was a conscious and deliberate process. The iconic images of the 1970s continued to have an effect on me. Although I want- ed to shoot photographs in America, I did not want to shoot photographs like the Americans, but rather create a connection between the Düsseldorf School and American photography.’ As early as 1978, Thomas Struth – at the time still a student of Bernd Becher – travelled to America to put his view, his foreign or alien way of seeing the reality of America in New York, to the test by confronting this with documentary black- and-white photography. Joachim Brohm, who has been making colour photographs since 1978, also travelled to the USA. In 1983/84, he was awarded a grant to study at Ohio State University, where he strove to fulfill his ‘need for a critical analysis’ of American society, which he saw as being characterised by individualism and nonconformity. In his first series, Timecapsules, which he began in 1994, Ralf Brueck turned to sacral interiors. His subjective analysis of space and his process-oriented approach with regard to the choice of detail, which is presented stringently and formally, positioned him early on as a visual translator with a precise photographic eye. The photographic maturity achieved as a result, as well as his understanding of the questioning of the image through the medium of photography, which was clearly influenced by Bernd Becher and Thomas Ruff, enter into an independent symbiosis in his series DAF – Deutsch Amerikanische Freundschaft. Most conspicuous is the turning away from the interior in favour of urban outdoor spaces. Brueck’s pictures include images of street scenes, landscapes, and details of outdoor spaces in America and Germany, which he approaches with the means of documentary photography and using a static view camera. Brueck also took the liberty of including a few images shot on journeys through Italy and Finland. In his American work titled P2 from 2007, a transmission mast divides the landscape according to the golden ratio, while a narrow country road, which serves as a counterpoint, diagonally cuts through the landscape. Reduced in terms of colour to the green of the grassy field and the blue of the sky, the photo seems like a montage of a natural landscape and the mast as a surrogate for an advanced world driven by technology. In addition to the presence of these two pictorially intrinsic components, the image is characterised more than anything else by the lack of an essential motif: especially in light of the absence of any human figure, this takes on a special significance. In Sign 4 from 2009, the empty space of a billboard also refers to the existence of man, who, in his absence, is all the more present. An innovation in Brueck’s work is the partial absence of circumstantial evidence of the technological achievements of man, such as in the photo Zabriskie from 2006, in which the roof of a gas station projects into the image from the left edge, acting as a kind of arrow pointing to the truck in the back- ground. These pictorial elements, which are arranged according to perspective and not easily discernible, provide only hints of the actual space and partially reject the tool of one-point perspective in use since the Renaissance. By breaking down comprehensible proportionality, Ralf Brueck positions these photographs in the proximity of conceptual photography. Ba- roque painters such as Francisco Zurbarán had already made use of such visual concepts based on the deception of the human eye. In the work Twolaneblacktop from 2007, Ralf Brueck also blocks the viewer’s unimpeded access to the image by means of the diagonally positioned skeleton of a building, which projects from the right, pushing far past the centre of the composition. The automobile parked in the background and slightly hidden from view substantiates the absence of man and functions as a further pictorially intrinsic element that serves to increase the sense of a subjective presence. In his American photographs, such as Monument from 2006, and especially Wait from 2009, the insignia of the absence of man – for example, the abandoned bus stop – unite with the element of colouring, which goes beyond the colour scheme of New Color Photography. The auratic effect of the soft, almost unreal sunlight in Wait is not revealed directly, but rather through its illumination of the sky beyond the small hill in the background; in its twilight, it annihilates any shadows. Embedded within this are the hard, graphically present lines of the bus stop, which seems to enter into a dialogue with the lantern, which, in turn, with its absent beam of light, points to the space where the awaited bus will someday stop. Interestingly, as a result of their perspectival withdrawal, the power pylons standing in the background sub- ordinate themselves to the central motifs and elements. In addition to Brueck’s photos shot in America from 2006 on, those taken in Germany, Italy, and Finland also form a counter- point to New Color Photography and clearly identify themselves as surrogates of an approach to photography influenced by the Düsseldorf School. These photographs, shot between 1996 and 1999, present architectural details of buildings and extract these from their urban environments. In his photo of the Wedau Stadium in Duisburg (1999), Brueck focuses on the formal diversity and stringency of the side view of a section of the bleachers and objectively differentiates the various geometries of the mono- chrome fields of colour, from the blue of the sky and the white of the staircase elements to the red of the railings and the blue-green of the concrete supports. What results in perfect harmony, through the conscious choice of the pictorial detail, is not the documentation of part of a building, but rather the visualisation of a subjective artistic approach, manifested in the directness of the photographic perspective. With his series DAF – Deutsch Amerikanische Freundschaft, Ralf Brueck succeeds in creating his own photographic reality, which appears authentic because it conforms rigorously to the documentary principles of photography and follows in the tradition of artists such as Eugène Atget, August Sander, and Walker Evans. What takes place in contrast to purely documentary photography, however, is the visualisation of an attitude vis-à-vis the motif, which draws on putative reality. ‘You place a medium between your own self and that which you represent as an artist – as a theoretical strategy of pictorial appropriation.’3 Ralf Brueck circumvents optical hindrances in order to wrest an interesting image from reality and, with his choice of motifs and the use of light and colour, creates a symbiosis of New Color Photography and the Düsseldorf School of Photography – and perhaps also of German punk and American folk.
2016 - Stefan Gronert, Timecapsules, Konstruktion Des Inneren english version scroll down Stefan Gronert (Kunsthistoriker, Kurator für Fotografie und Medienkunst am Sprengel Museum in Hannover) Text zur Werkreihe Timecapsules 2016 Konstruktionen des Inneren Sind »Kirchen« im Zeitalter einer säkularisierten, ja sogar weitgehend antisakralen Gesellschaft ein interessantes Motiv der Fotografie? Wahrscheinlich ist die Frage falsch gestellt, denn Motive sind in der Fotografie nicht wichtiger als in der Malerei – was nicht heißt, dass sie völlig irrelevant sind, wohl aber, dass die Darstellungsweise den bildlichen Inhalt einer künstlerischen Fotografie dominieren dürfte. Ohnehin muss man differenzieren: Es geht hier nicht um Kirchen an sich, sondern um Innenräume von Kirchen. Ralf Brueck hat dieses Thema bereits in seiner Reihe der Timecapsules zwischen 1996 und 2000 verfolgt. Zu jener Zeit war dieses Motiv jedoch sehr wohl ungewöhnlich und sorgte auch in den Kreisen der Düsseldorfer Fotografen durchaus für kontroverse Diskussionen. Da sich die Fotografie damals – man denke etwa an Thomas Ruff oder Jörg Sasse – schon zunehmend digitalen Bildfindungen widmete und zugleich das Medienspezifische des fotografischen Bildes thematisierte, musste der scheinbare Rekurs auf eine klassische Form der Innenraum-Darstellung anhand von Kirchen beinahe zwangsläufig polarisieren. Aber handelte es sich hier überhaupt um konventionelle Fotografie in der sachlichen Tradition der sogenannten »Becher-Schule«? Im Zentrum der rund 60 Fotos umfassenden Reihe ging es Brueck vor zwei Jahrzehnten um Kirchen des Rheinlands, die mittlerweile teilweise umgewidmet wurden oder gar nicht mehr existieren. Es handelt sich um Bauten, die zwischen 1950 und 1980 entstanden waren. Bruecks Interesse galt dabei speziell jenen Kirchen, die nach langen Jahren der Nutzung immer noch annähernd das ursprüngliche Erscheinungsbild bewahrt hatten, also wie »Timecapsules« fungierten – ein Thema, das natürlich wie geschaffen für die Erinnerungsfunktion einer dokumentarischen Fotografie war. Brueck zielte hierbei auf die bildliche Analyse der Konstruktion von Räumen. Angeregt von seinem Lehrer Bernd Becher, widmete er sich kirchlichen Innenräumen, denen er mithilfe der Perspektive und des Ausschnitts eine andere bildliche Realität verleihen konnte; dadurch vermochte er auch manipulativ auf das Ergebnis einzuwirken, um so in der (Über-)Steigerung der sachlichen Abbildung die Wirklichkeit des Bildes neu entstehen lassen zu können. Abgesehen von den Fotografien Melanchthonkirche oder Dietrich-Bonhoeffer-Kirche (beide 1997), die den Kirchenraum in ihrer dreidimensionalen Tiefe ausmessen, und abgesehen auch von dem einzigen Bild einer Darstellung einer Außenfassade (Melanchthonkirche, 1996), stehen in dieser Bildreihe vorwiegend architektonische Details oder Objekte im Mittelpunkt von Bruecks Interesse. Es sind menschenleere Räume, für die die Optik der Nahsicht als auch das Gestaltungsmittel des radikalen Ausschnitts kennzeichnend sind. Dies ist zu jener Zeit eher ungewöhnlich, unterscheidet sich auf jeden Fall erheblich von der Optik des Überblicks einer Candida Höfer oder eines Axel Hütte. Banalen Details, etwa einem Lampenschirm in TC589 (1998), wird bei Brueck durch ihre bildliche Positionierung auf der Fläche eine durchaus komische, auf jeden Fall theatralische Dimension verliehen, wenn man sie sowohl farblich als auch im Hinblick auf ihre abstrakte Form losgelöst von ihrem eigentlichen Nutzen sieht. Das gilt etwa auch für eher vereinzelte Objekte, wie zum Beispiel die Kanzel in TC423 (1996), welche in ihrer bildlichen Realität beinahe wie eine Skulptur erscheint. Das Formale unterminiert eindeutig das Sakrale, denn Brueck unterstreicht in seinen Timecapsules den hohen Abstraktionsgrad der Innenarchitektur dieser Räume. Genau an dieser Stelle mag man die Frage nach dem Ort der Abstraktion aufwerfen: Ist diese Bestandteil der architektonischen Sprache oder ein Resultat des Bildes? Vielleicht ist aber auch die Alternative keine solche, sondern als ein »und« besser zu verstehen. Bemerkenswert ist in jedem Fall ein weiteres Element, das Brueck in dieser Reihe in diversen Bildern thematisiert – das ureigene fotografische Mittel des Lichts (zum Beispiel in TC431, 1997), mit dessen Hilfe eine Flächigkeit und Entmaterialisierung eingeleitet wird, die dem Gebäude eine Unwirklichkeit verleiht und zugleich das Medium des fotografischen Bildes reflektiert. Genau diesem Zusammenhang zwischen architektonischem Raum und Struktur sowie der spezifischen Syntax, welche das Licht im Bild kreiert, ist Brueck auch in seinen jüngsten Fotografien von Kirchen treu geblieben: Angefangen bei DNA (2012) und Jeanne D'Arc (2014), beide aus der Reihe Distortion, bis hin zu Résistance (2014) aus der Reihe Deconstruction setzt sich Brueck aber auch deutlich erkennbar in einer neuen Bildsprache mit diesem Thema auseinander. Seine neuen Fotos nehmen die Streckung der architektonischen Formensprache der gotischen Kathedralen auf und verstärken diese, indem die Pfeiler und Wände eine abermalige artifizielle Verlängerung erfahren. Damit wird zumindest zweierlei erzielt: Zum einen erscheint das mit digitalen Mitteln bearbeitete Gebäude wie entmaterialisiert, sodass erneut eine Andeutung von Transzendenz suggeriert wird. Da es sich aber um offenkundig konstruierte Bilder handelt, ist diese spirituelle Dimension zugleich reflexiv gebrochen und distanziert sich damit von der religiösen Erfahrung. Zugleich wird mit der Vervielfältigung der Vertikalen auch ein Eindruck von Geschwindigkeit erzeugt, welcher der Erfahrung von Langsamkeit beziehungsweise Entzeitlichung im realen Kirchenraum widerspricht. Die Auseinandersetzung mit Innenräumen hat Brueck in der neuen Reihe Deconstruction auch unabhängig vom Motiv der Kirche weiterverfolgt. Dabei erscheinen selbst dokumentarisch anmutende Bilder wie Reaktor oder Rockyfeller (beide 2015) wie Inszenierungen irrealer Räume, die aufgrund ihrer rationalen Geometrie einen Alltagsbezug auszuschließen scheinen. Verunsichert blickt man auf Idealist's Playground und fragt sich, ob es sich hier bloß um ein Spiel architektonischer Spiegelungen handelt – dann aber bricht die Realität am linken Bildrand durch eine Uhr wieder ein: Wie werden Menschen diesen merkwürdigen Raum beleben? Oder sind wir hier – nicht zuletzt das Motiv eines vermeintlichen Theatervorhangs scheint darauf hinzudeuten – einer immanenten Bild-Reflexion der Fotografie aufgesessen? Auf einer anderen Ebene ebenso irritierend ist auch die Struktur in Jeanne D'Arc, das formal auf erstaunliche Weise mit dem bereits erwähnten Bild TC431 aus dem Jahr 1997 korrespondiert. Von einem stabilen Fußboden ausgehend, verliert sich das Sichtbare in einer Erscheinung, die in ihrer neuen, digitalen Form als gelbe Erscheinung zwischen zu Wänden verdichteten Säulen aufstrebt. Die beinahe surreale Wirkung der gelben Farbe wird – im Unterschied zum entmaterialisierenden Licht des früheren Fotos – am oberen Bildrand aber nun wieder mit einer dokumentarischen Sichtweise gefasst und erzeugt genau durch diesen Widerspruch eine Irrealität. Erneut findet hier eine psychologische Aufladung des Inneren statt. Es zeigt sich also in mehrfacher Hinsicht, dass Ralf Brueck mit seinen vielfältigen bildsprachlichen Mitteln, die er in den vergangenen beiden Jahrzehnten virtuos eingesetzt hat, zu stets neuen fotografischen Erscheinungsweisen gelangt ist. Selbst wenn diese sich auf den ersten Blick stark voneinander unterscheiden, scheint sein kontinuierliches Interesse an Innenräumen der Vorstellung, »sich ein Lebensthema zu suchen«, wie sie durch Bernd Becher verkörpert wurde, durchaus nicht fremd zu sein. Ihm geht es um Konstruktionen des Inneren. Brueck aber hat dies nie mit einem archivarischen oder gar seriellen Denken verbunden, sondern stets Einzelbilder geschaffen. Denn: Was ist und wo befindet sich das Innere? Stefan Gronert (art historian, curator for photography and media art at the Sprengel Museum in Hanover) Text on the series of works, Ralf Brueck / Timecapsules 2016 Constructions of the Interior Are ‘churches’ in the age of a secularised and even largely anti-religious society an interesting motif for photography? The question has probably been put wrongly, since motifs are not more important in photography than they are in painting – which does not mean that they are completely irrelevant; but it does mean that the method of presentation may indeed dominate the pictorial content of an artistic photograph. In any event, one has to differentiate: we are not dealing here with churches as such, but rather with church interiors. Ralf Brueck had already taken up this theme in his Timecapsules series, created between 1996 and 2000. But at the time this motif was certainly unusual and sparked controversial debates, also among photographers in Düsseldorf. Since in those days photography was increasingly turning towards digital image solutions and, at the same time, was also taking as its theme the media-specific nature of the photographic image (one need only think of, for example, Thomas Ruff and Jörg Sasse), the apparent recourse to a classical form of depicting interiors using the example of churches must have inevitably polarised. But are we in fact dealing here with conventional photography in the objective tradition of the so-called Becher School? The focus of the series consisting of approximately sixty photo- graphs shot by Brueck two decades ago is on churches in the Rhineland, which in the meantime have either been partially transformed or no longer exist at all. We are dealing here with buildings erected between 1950 and 1980. Brueck’s interest was directed especially towards churches that, even after long years of use, still looked more or less the same and thus functioned as ‘time capsules’, so to speak – a theme that seemed predestined for the memory function of documentary photography. With these works Brueck aimed at a pictorial analysis of the construction of spaces. Inspired by his professor Bernd Becher, he dedicated himself to church interiors, to which, with the help of perspective and detail, he was able to lend another pictorial reality; in doing so, he also manipulated and thus influenced the final result, in order to create a new pictorial reality by means of an (excessive) exaggeration of objective illustration. Aside from the photographs Melanchthonkirche and Dietrich-Bonhoeffer-Kirche (both 1997), which survey the interior space in its three-dimensional depth, as well as the only image of a church façade (Melanchthonkirche, 1996), this series focuses primarily on Brueck’s interest in architectural details and objects. These are deserted spaces, characterised by the optics of the close-up view and the compositional tool of the radical detail. This was unusual for the time, and is in any event considerably different from the perspective of optical overview employed by photo artists such as Candida Höfer and Axel Hütte. Through their positioning on the surface of the composition, Brueck lends specific details – such as, for example, a lamp- shade in TC589 (1998) – a comical, and by all means theatrical dimension, especially when they are detached from their actual function by means of both their coloration and abstract formulation. This is also true of more or less isolated objects, such as the pulpit in TC423 (1996), which, in its pictorial reality, appears almost sculptural. The formal clearly undermines the sacred, since in his Timecapsules Brueck underscores the high degree of abstraction of the interior architecture of these spaces. It is precisely here that the question of the location of abstraction can be posed: is this a component of the architectural language or a result of the image? Perhaps it is not a question of ‘either-or’ but is instead better understood as a combination of both. Worthy of note in any event is a further element, which Brueck takes on as a theme in various images in this series: the inherent photographic tool of light (e.g. TC431, 1997), which introduces a sense of flatness and dematerialisation. This lends the building an atmosphere of unreality and simultaneously reflects upon the medium of the photographic image. It is precisely this connection between architectural space and structure, as well as the specific syntax created by the light within the image, to which Brueck remains faithful even in his most recent photographs of churches: beginning with DNA (2012) and Jeanne D'Arc (2014), both from the Distortion series, and continuing on with Résistance (2014) from the Deconstruction series, Brueck clearly explores this issue with a new visual language. His new photographs pick up on the elongation of the architectural language of forms in Gothic cathedrals and intensify this by artificially extending the columns and walls. At least two things are achieved as a result: first of all, the digitally processed building appears dematerialised, suggesting once again a hint of transcendence. But since these are obviously constructed images, this spiritual dimension is broken reflexively and thus distances itself from religious experience. Secondly, the multiplication of the vertical lines creates an impression of speed, which contradicts the experience of slow- ness or rather ‘detemporalisation’ in actual church interiors. In the new Deconstruction series, Brueck pursues his analysis of interior spaces further, independent of the motif of the church. In these works even seemingly documentary images, such as Reaktor and Rockyfeller (both 2015), appear to stage unreal spaces whose rational geometry seems to exclude any reference to everyday life. One casts an irritated glance at Idealist's Playground and asks whether we are dealing here with a mere play of architectural mirrors – but then, along the left edge of the image, reality enters once again in the form of a clock: How will people animate this curious space? Or are we confronted here – as seems to be implied not least of all by the motif of a presumed theatre curtain – with an image reflection immanent to photography? Equally irritating on another level is the structure in Jeanne D'Arc, which has an astonishing formal correspondence to the previously mentioned photo TC431 of 1997. Beginning at the stable floor level, the visible disappears into an apparition, which rises up in its new digital form as a yellow presence be- tween columns that have condensed into walls. But the almost surreal effect of the yellow colour – in contrast to the dematerialised light of the earlier photograph – is grasped by a renewed documentary approach along the upper edge and produces a sense of unreality precisely through this contradiction. Once more the interior space becomes psychologically charged here. It is thus apparent in several respects that Ralf Brueck’s diverse visual means, skilfully deployed throughout the past two decades, have allowed him to achieve continually new photographic visualizations. Even when these seem at first to differ significantly from one another, his continued interest in interior spaces appears thoroughly in keeping with the concept of ‘finding a theme for a lifetime’, as was embodied by Bernd Becher. He is interested in constructions of the interior. But Brueck never combined these with an archival or even serial way of thinking, instead always creating individual images. For, what is an interior and where can it be found?
2016 Interview Ralf Brueck, DEUTSCHLANDFUNK, "Die verborgene DNA von Bildräumen" Deutschlandfunk 2016 Von Peter Backof Im NRW-Forum in Düsseldorf stellt der Fotograf Ralf Brueck Serien der jüngsten Jahre aus. In „Deconstruction“, „Distortion“ und „Deutsch-amerikanische Freundschaft“ werden Natur und Stadt mit der Kamera datenmäßig erfasst, dann seziert, digital manipuliert und neu arrangiert. „Ich habe jetzt schon von vielen Seiten gehört, dass da so eine Art Science-Fiction-Eindruck entsteht. Ich meine, ich habe jetzt nichts gegen Science Fiction, finde ich auch ganz gut, aber.“ Aber! Es ist eigentlich keine Science Fiction, wenn Ralf Brueck aus Düsseldorf ein Modul der Weltraumstation ISS fotografiert, ein Foto aus der Serie „Deconstruction“. Darin öffnet sich ein Raum nach dem Raum nach dem Raum. Alles stürzt in einen Fluchtpunkt. Eine Atmosphäre wie in der Odyssee im Weltraum von Stanley Kubrick: Halb technisch plausibel, halb mystisch entrückt. „Ich benutze eine Großformatkamera. So eine Kamera, wo man sich ein Tuch über den Kopf zieht. Einfach, weil die Negative sehr groß sind und weil die Auflösung, die Megapixel, dann auch sehr hoch sind.“ Die analoge Plattenkamera erfüllt für die bis zu 3,20 Meter breiten Abzüge in der Ausstellung im NRW-Forum genau den Zweck: Das Modul der ISS konnte er so – in der Weltraumwerft am Boden – gestochen scharf und hypertechnoid aufs Negativ bringen. „Und hinterher wird dann diese analoge Aufnahme gescannt und im Rechner bearbeitet, indem ich dann verschiedene Tools in Photoshop benutze. Diese Tools sind ja genauso wie ein Maler verschiedene Tools hat, indem er Spatel benutzt, mehrere Male Farbe aufträgt, um sein Bild dahin zu bringen, wie er es gerne hätte.“ Malen mit Pixeln also. Für das ISS-Modul heißt das: Den Sturz in die Tiefe des Raums gibt es gar nicht. Genauso wenig wie die extrem futuristischen Re-Designs von „Terminal 21“ oder „Alex Berlin“ aus den Serien „Deconstruction“ und „Distortion“. Das sind Montagen, Stauchungen und Zerrungen echter Orte, sodass pink-farbige Balken wie Barcode-Striche im grauen Raum schweben. Grenzen des Fotografiebegriffs erweitern So im Aktenkeller eines Unternehmens in Florenz, wo Ralf Brueck ein Jahr lang Villa-Romana-Stipendiat war. Eigentlich ein banaler Funktionsraum, der jetzt aber eine Aura hat, sodass wir die Finanzströme sehen können, um die es hier eigentlich geht? „Pink Mist“ – Nebel in Pink –, wieder 3,20 Meter breit und wirkungsmächtig: „Ich wollte einfach die Grenzen des Fotografiebegriffs, wie er für mich gilt, erweitern und habe geguckt, was ich eigentlich noch mit dem Bild machen kann. Und habe dann so einen Abgriff aus der Bild-DNA genommen, sage ich mal, und verändert, praktisch die Bild-DNA zum Mutieren gebracht.“ New Colour Photography nennt sich diese junge fotografische Schublade mit Vorbildern aus den USA. Man nutzt sämtliche verfügbaren Mittel und schafft Bilder, die mehr sind als Fotos. Auch für Ralf Brueck selbst ist der erste Blick auf ein Resultat wie Bleigießen an Silvester. „Damit kann ich mich anfreunden: Das Unbeschreibliche finde ich schon ganz gut.“ Wie soll man auch diese gigantischen Strahlenbündel nennen, die scheinbar aus dem Weltraum auf Parklandschaften und Autobahnen niederprasseln? Staunende Touristen auf dem Foto „Manic Depression“ zücken die Kamera, wollen die Erscheinung festhalten. Ein Foto im Foto im Foto. Ralf Brueck wirbelt die Wirklichkeitsebenen und damit den Begriff von Fotografie ordentlich durcheinander. Auch die assoziativen Titel seiner Fotos sollen dabei eine Rolle spielen. „Kubrick“, „Unknown Pleasures“, „Personal Jesus“. Die Ausstellung hat auch einen gefühlten Soundtrack aus Joy Division, Depeche Mode, Johnny Cash: eine zusätzliche Farbe. „Wochenlang nur im Auto zu sitzen und dann überall da anzuhalten, wo ich etwas interessant finde. Mich treiben zu lassen, ist wie so eine Art Road Movie.“ Reise in die USA Zweimal hat Ralf Brueck die USA bereist. Monatelang und querfeldein. Spießige Carports irgendwo in Montana, eine frisch gestrichene Bushalte im sandigen Nirgendwo Arizonas: Banales, Zufälliges, nie klischeehaft Amerikanisches. Aber für Ralf Brueck in dem Moment bedeutend Wirkendes ist zu sehen. Die Serie „Deutsch-amerikanische Freundschaft“: Heißt so wie die 80er-Band mit dem Hit „Der Mussolini“, ist aber auch Roadmovie für die eigene Karriere. „Deutsch-amerikanische Freundschaft, den Namen habe ich gewählt, weil es für mich um eine Auseinandersetzung mit der amerikanischen Fotografie ging. Ich habe das Gefühl, dass die viel freier arbeiten als mir das möglich gewesen ist in der Düsseldorfer Fotoschule.“ „Next Exit Right“: Da kann man dann rätseln über dieses drei Meter breite Foto von einer Verkehrshinweistafel am Highway: Fahren Sie die nächste rechts! – oder: Hier liegen sie richtig? Ziemlich symptomatisch für das, was Ralf Brueck macht. Vielleicht hat er den Hinweis ja auch einfach hineinmontiert ins Foto: Er bedeutet, was immer man darin sehen will.
2016 - Simone Kraft, Architektur Zeitung, Interview Architektur Zeitung 2016 Interview Simone Kraft, Autorin »Letztendlich ist das, was da aufgelöst wird, nur ein Abbild des Raums. Was mich viel mehr beschäftigt und fasziniert, ist, was ein Bild ausmacht und wie es entsteht.« Home sweet home, 2014, 120 x 160 cm, c-print, plexiglass, woodframe Ein Raum wie gemalt. Verschwommene Farbbahnen, wie mit einem derben Pinsel gezogen. Ein Innenraum, Stoffbahnen an der Wand, üppig drapiert. Vorhanglamellen? Stoffverkleidete Pilaster? Eine Wand, die sich in Farben fast aufzulösen scheint. Ralf Bruecks »Home sweet home« ist kein Gemälde, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne, mit Pinsel und Farbe auf Leinwand gebracht. Sondern eine Fotografie eines tatsächlichen Raums, wie auch die anderen Arbeiten seiner aktuellsten Serie »Dekonstruktion«. Und doch ist es eine Form des Malens, die der Düsseldorfer Künstler hier einsetzt: Die Fotografien werden zum Ausgangsmaterial, mit dem er digital weiterarbeitet. Nicht das – gegebenenfalls inszenierte – Abbild ist Ziel des Arbeitens, sondern aus dem fotografierten Motiv wird »Arbeitsmaterial« gewonnen für die weitere, die eigentliche Gestaltung. Die Fotografie wird auf eine neue Ebene geführt. Gorleben, 2011, 120 x 160 cm, c-print, plexiglass, woodframe In einem aufwendigen Prozess mit zahlreichen Arbeitsschritten – digital zwar, aber doch nicht mechanisiert, sondern aufwendig geplant, programmiert und umgesetzt, für jede Arbeit von Neuem – untersucht Brueck, was ein Bild ausmacht. Elemente der Fotografie werden herausgegriffen, verändert, neu zusammengefügt. Im Juli zeigt Ralf Brueck neue Videoarbeiten in einer Einzelausstellung in Düsseldorf, während im Oktober eine Ausstellung im Deutschen Haus New York mit neuen Arbeiten ansteht. Im Interview mit Simone Kraft von deconarch.com erläutert Ralf Brueck sein Interesse an Räumen und Architektur, erläutert seine Arbeit der Bildmanipulation in der neuesten Serie »Dekonstruktion« und verrät die Ironie in ihren Titeln. Shopping with grandma Elisabeth, 2015, 98 x 160 cm, c-print, plexiglass, woodframe Interview Simone Kraft: Eine Ihrer aktuellen Arbeiten ist die »Dekonstruktion«-Serie. Stellen Sie uns diese kurz vor? Ralf Brueck: Die Serie heißt »Dekonstruktion«, weil ich eine Fotografie digital dekonstruiere und sie danach wieder zusammensetze. Das, was dann daraus entsteht, ist ein Bild und keine Fotografie mehr, also etwas Neues. Und ja, die Serie wird weitergeführt. Im Moment arbeite ich an einem Projekt für die Ausstellung im Oktober, in New York. Gerade habe ich in New York in der UNO und in einigen Foyers in Manhattan, z.B. bei CBS oder im Exxon Building, fotografiert. Die neue Ausstellung setzt sich mit amerikanischen architektonischen Ikonen, explizit in New York, auseinander. Simone Kraft: Beschreiben Sie uns diesen Prozess etwas genauer – inwiefern wird das Ausgangsbild »destruiert«? Ralf Brueck: Ich habe eine Fotografie des Foyer des Dreischeibenhauses in Düsseldorf in meiner »Dekonstruktion«-Serie benutzt. Allerdings zeigt die fertige Arbeit kein Abbild des Foyers. Viel spannender war es, die Fotografie des Foyers als Ausgangsmaterial für die Untersuchung zu benutzen, was ein Bild ausmacht. Das heißt, Elemente des Bildes abzugreifen, zu verändern und neu zusammenzusetzen. Das ist ein eher langwieriger Prozess des Eingriffs, mit Tools aus verschiedenen Bildbearbeitungsprogrammen. Es handelt sich dabei jedoch nicht um Filter oder Effekte, sondern um selbst programmierte Arbeitsschritte, die geplant sind und nicht auf Zufällen basieren. Simone Kraft: Stichwort »Dekonstruktion« – hat Derridas Denken bewussten Einfluss auf die Serie? Ralf Brueck: Sofern sich das darauf bezieht, die eigene Bildsprache ständig zu hinterfragen, schon. Simone Kraft: Sie arbeiten hier mit Architekturmotiven und -formen, was interessiert Sie daran? Ralf Brueck: Unser Leben wird neben sozialen Faktoren so stark wie nie von urbaner Architektur bestimmt. Die Umgebung, in der ich lebe, war mir schon immer wichtig, und von daher war es ein natürlicher Schritt, die Architektur in meine Arbeit einzubeziehen.